"Wir neigen dazu, jene zu vergessen, die nicht laut sein können": jopa jotakin.
Foto: Apollonia T. Bitzan

Schriftsteller:innen, die gerade nicht "offensichtlich" erfolgreich sind, also momentan viel gelesen, inszeniert, rezensiert werden und präsent sind, wurden immer schon gerne gefragt: "Und davon kannst du leben?!" Mit erstauntem Unterton, weil es vielen unglaublich vorkam, wie das gehen soll, Schriftsteller:in ist doch kein Beruf, der Eintritt bei Lesungen ist auch meistens gratis, also wo kommt die Kohle her?

Diese Frage wird immer noch gern gestellt, aber mittlerweile mit einem anderen Unterton, eher besorgt, mitfühlend: "Kannst (auch) du (nur) davon leben?", "Was machst du sonst noch so?" In den letzten Jahrzehnten sind viele neue Berufe entstanden, Schriftsteller:in ist da mittlerweile einer der gewöhnlicheren. Außerdem ist es heute quasi Normalzustand, diverse Jobs gleichzeitig zu haben, von denen mensch nicht wirklich leben kann.

Heute ist ein großer Teil der sogenannten Mittelschicht im Prekariat angekommen. Viele einstmals sichere Beschäftigungsverhältnisse werden nur mehr befristet abgeschlossen oder an (Schein-)Selbstständige vergeben. Wir Schriftsteller:innen sind da vielleicht sogar im Vorteil, erfüllen wir doch schon seit langem ironischerweise jene Ansprüche, die heute in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem der Gig- und Share-Economy an Arbeitskräfte gestellt werden: Wir hornbachen von Projekt zu Projekt, sind mobil und flexibel.

Wir arbeiten im Homeoffice, können aber auch an (fast) jedem beliebigen anderen Ort arbeiten. Wir stellen unsere Arbeitsmittel selber. Wir arbeiten selbstständig und aus eigenem Antrieb, die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verlaufen fließend. Wir sind vernetzt, kommunikativ und jederzeit erreichbar. Unsere Arbeit wurde schon rezensiert, bevor es Google gab, wir sind es gewöhnt, dass wir und unser Schaffen öffentlicher Bewertung ausgesetzt sind.

Mehrfachversicherungen

Einige Schreibende sind heute in literaturnahen Bereichen angestellt, viele im wachsenden Sektor der Kreativindustrie tätig, meist freiberuflich als "Neue Selbstständige". Oder beides. Oder haben literaturferne Berufe, das gibt es auch. Die Kreativindustrie bietet großteils atypische Beschäftigungsverhältnisse, arbeitet mit Werkverträgen, freien Dienstverträgen, Honorarnoten. Eine Mischung aus selbstständigen, scheinselbstständigen und ähnlichen Tätigkeiten, Anstellungen über und unter der Geringfügigkeitsgrenze und den damit verbundenen Mehrfachversicherungen sind keine Seltenheit, die Jahreseinkommen aus allen Quellen zusammengerechnet meistens im Nahbereich der Armutsschwelle.

Hier bringt der Großteil der Schriftsteller:innen einen Wettbewerbsvorteil mit: Die überwiegende Mehrheit der Schreibenden stammt aus einem bürgerlichen, bildungs- und kulturnahen Umfeld und hat eine relativ gute soziale und oft auch finanzielle Absicherung, sei es durch Familie oder soziale Netze. In fast allen Schriftsteller:innenbiografien finden sich Studien und Ausbildungen.

Wer aus einem bildungs- und kulturbürgerlich geprägten Elternhaus stammt, weiß in der Regel, worauf er:sie sich einlässt, wenn er:sie sich entscheidet, vom und mit dem Schreiben leben zu wollen. Segelt quasi sehenden Auges ins Prekariat. Meist ausgerüstet mit dem Wissen, wie es sich im Prekariat überleben lässt. Und sehr oft mit einem Rettungsanker an Bord.

Es wird heute von vielen als Alltag gelebt, was in den 1970er-, 198oer-Jahren noch nonkonformistische Formen des Zusammenlebens waren, von Aussteiger:innen aus der Gesellschaft entworfen, um über ihre Zeit weitgehend selbstbestimmt verfügen und kreativ arbeiten zu können. Wohngemeinschaften, Patchworkfamilien, Hausverbände, loses und wechselndes Zusammenleben sind Modelle, die keine Seltenheit mehr sind. (...)

Als Künstler:in habe ich zusätzlich die Möglichkeit, Stipendien und Projektförderungen zu bekommen. Stipendien sind ein sehr wichtiges Instrument, Künstler:innen zu unterstützen, uns eine Atempause im neoliberalen Hamsterrad zu verschaffen. Zeit, sich intensiv mit einem Projekt zu beschäftigen. Vor allem schaffen sie Raum für Werke, die nicht zwingend am Markt reüssieren werden, die sich keiner kapitalistischen Verwertungslogik unterwerfen. (...) Das System der Stipendien und Förderungen ist in Österreich, international gesehen, sehr gut ausgebaut, was wir dem Einsatz der schreibenden Generation(en) vor uns zu verdanken haben. Natürlich würde trotzdem mehr gehen, die Literatur hat den weitaus kleinsten Förderetat von allen Kunstrichtungen. Dies alles betrifft vor allem die Autor:innen meiner Generation, die wir in diesem Arbeitsmarkt aufgewachsen sind. Uns fällt es oft leicht, diese Entwicklungen mitzumachen.

Wohngemeinschaft

Ich zum Beispiel bin angestellt im Büro der Grazer Autorinnen Autorenversammlung, also in einem sehr literaturnahen Bereich. Das ist meine Haupteinnahmequelle (davor hatte ich Jobs im Callcenter und im Supermarkt). Ich mache Lesungen, Leseperformances, Auftritte, dafür bekomme ich Honorare. Das ist meine zweite Einnahmequelle. Manchmal bekomme ich ein Stipendium, sehr selten einen Preis.

Wofür ich kaum bis kein Geld bekomme: Ich betreibe mit einer bildenden Künstlerin einen Kleinverlag, veranstalte mit Autorinnenkolleginnen eine monatliche Lesereihe und trete mit einer Performancegruppe auf. In klassischer freiwilliger Selbstausbeutung betreibe ich mit einem Kollektiv einen Kulturverein. Dazu immer wieder weitere kleine oder große Projekte und Kooperationen. Zwischendurch gehe ich zu Lesungen, auf Konzerte, in Theater, Performances und lese Bücher. Das gehört auch zum Beruf.

Ich lebe in einer Wohngemeinschaft. Meine Eltern sind nicht reich, ich würde sie zur bildungsbürgerlichen Mittelschicht zählen. Studium oder Ausbildung habe ich nicht, aber Matura. Ich schreibe deshalb so ausführlich über mich, weil das eine relativ typische und bei Kolleg:innen meiner Generation die häufigste mir bekannte Konstellation ist. Mein Angestelltenverhältnis ist sogar ein "echtes" und unbefristet (allerdings abhängig davon, dass wir die entsprechenden Förderungen erhalten). Das ist gut und längst nicht selbstverständlich.

Das wird so noch einige Zeit lang gut funktionieren. Wie es bei so vielen eh ganz gut funktioniert. Auch Teilzeit zu arbeiten ist nichts Besonderes mehr so wie die Verbindung von diversen anderen Beschäftigungsarten, siehe oben. Etliche Schriftsteller:innen sind nach wie vor im Umfeld von Universitäten beschäftigt, diese Stellen sind aber, wie gesagt, mittlerweile sehr oft befristet oder gleich auf der Basis von freien Dienstverträgen. Da freiberufliche Schriftsteller:innen zu den Neuen Selbstständigen zählen, sind diese auch pensions- und krankenversichert, ein Fortschritt! Da umfasst die schriftstellerische Tätigkeit dann auch Schreibworkshops, Lektorate, Übersetzungen, Auftragstexte und diverse zumindest schreibnahe Tätigkeiten.

Ein Großteil der mir bekannten Schriftsteller:innen lebt zwar prekär, aber prekär auf relativ gutem Niveau. Heißt: wurschtelt sich zwar durch, ist aber halbwegs abgesichert, manche haben sogar Eigentumswohnungen und Zweitwohnsitze, meistens geerbt, oder zumindest halbwegs günstige Wohnungen. Dennoch immer rund um die Armutsgefährdungsschwelle unterwegs. Auch in einer Eigentumswohnung will mensch manchmal heizen, und regelmäßig etwas essen wäre auch ganz fein.

Solidarität

Und wir dürfen jene nicht vergessen, die weniger Glück und Möglichkeiten hatten. Die sich ihr Leben lang durchgewurschtelt haben und eh irgendwie abgesichert waren, aber jetzt nur wenig Pension bekommen, nicht mehr so viel eingeladen werden und nicht mehr viel schreiben. Auf jene, die sich nicht in den regulären Arbeitsmarkt integrieren können, die nicht ständig Job wechseln und flexibel sein können. Die zusätzlich zu einem Teilzeitjob und (literarischen) Projekten unbezahlte Care-Arbeit leisten. Die am gesellschaftlichen Leben nicht teilhaben können oder wollen, die nicht laut sind und präsent. Die sich nicht ohne weiteres bemerkbar und verständlich machen können. Diese Kolleg:innen gibt es auch.

Gerade deshalb brauchen sie unsere Solidarität (und das ist nicht auf Schriftsteller:innen beschränkt!). Wir neigen dazu, jene zu vergessen, die nicht laut sind (sein können). Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu fordern realistisch ist oder nicht, wage ich nicht zu beurteilen. Ich bin Schriftsteller:in und nicht Wirtschaftswissenschafter:in. Ich würde es mir wünschen. Oder zumindest ein Grundauskommen.

Bernhard Kathan hat 2013 die durchschnittliche Lebenserwartung von Schriftsteller:innen anhand der Liste der Verstorbenen der GAV ausgerechnet und kam auf einen Wert von 63,69 Jahren. Ich habe diese Berechnung nun, neun Jahre später, erneut durchgeführt, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt mittlerweile bei 67,48 Jahren. Das lässt doch hoffen. (jopa jotakin, 10.7.2022)