Blockade des Flughafens Groningen-Eelde.

Foto: Imago/Kees van der Veen

In den Niederlanden protestieren seit Wochen Landwirtinnen und Landwirte gegen Pläne der liberal-konservativen Regierung, den Stickoxidausstoß im Agrarsektor drastisch zu senken. Dieser ist in dem hoch industrialisierten Land seit Jahrzehnten notorisch zu hoch. Anfang Juni beschloss die Regierung Mark Rutte, dass die Emissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent sinken müssen – so wollen die Niederlande ihre Klimaziele erreichen. Auch der massive Einsatz von Düngemitteln ist der Regierung ein Dorn im Auge. Seither gehen die "Boeren" zwischen Maastricht und Groningen auf die Barrikaden.

Auch wegen der intensiven Viehhaltung gelten die Niederlande nämlich als einer der größten Emittenten in Europa. Der Mist, den die Tiere produzieren, ist laut des deutschen Umweltbundesamts Quelle von Stickoxiden und Stickstoff. Beim Ausbringen von Dünger auf die Felder entsteht zudem Lachgas. Weiters entstehen bei der Viehhaltung Methan-Emissionen, und zwar bei Verdauungsprozessen von Rindern und Schafen sowie bei der Lagerung von Mist und Gülle.

"Verrat"

Weil sich Fachleuten zufolge der Viehbestand um etwa ein Drittel reduzieren müsste, um die Klimaziele zu erreichen, sehen sich viele Bäuerinnen und Bauern nun um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Mit drastischen Folgen: Bis zu 30 Prozent der Höfe müssten ihren Betrieb einstellen, so Schätzungen. Aus Sicht vieler Landwirtinnen und Landwirte kommt der Plan der Regierung daher einem Verrat gleich. Man habe sich immer an alle Regeln gehalten und in nachhaltige Technologien investiert, argumentieren sie. Ihre wichtigste Forderung: mehr Zeit für die Umrüstung ihrer Betriebe.

Kurz nach der Entscheidung der Haager Regierung begannen Landwirtinnen und Landwirte, dagegen zu protestieren – meist unorganisiert. Waren es zu Beginn Aufmärsche wütender Bäuerinnen und Bauern vor dem Parlamentsgebäude sowie vor Privathäusern von Politprominenz wie Umweltministerin Christianne van der Wal, verlagerten sich die Proteste wenig später auf die Autobahnen des dichtbesiedelten Landes. Der Unmut macht sich aber auch im Alltag bemerkbar: Die Gemüseregale der Supermärkte bleiben seit Beginn der Proteste vor einem Monat vielerorts leer. Und vor dem Ministerium versprühten wütende Landwirte Gülle.

Schüsse abgegeben

Zuletzt sind die Proteste, die sich meist auf Blockaden großer Supermärkte konzentrieren, auch gewalttätig geworden. Bei einer Demonstration im friesischen Heerenveen im Norden des 18-Millionen-Menschen-Landes, in dem insgesamt zwölf Millionen Schweine, vier Millionen Rinder und 100 Millionen Hühner gehalten werden, hat die Polizei am Dienstag nahe einer blockierten Autobahnauffahrt Warnschüsse und gezielte Schüsse abgegeben. Traktoren seien auf Polizisten und Polizeiautos zugefahren, eine "bedrohliche Lage" sei entstanden, teilte die Polizei am Mittwoch mit.

Ein Traktor sei getroffen worden, Bilder davon kursieren im Netz und fachen den Zorn der Bäuerinnen und Bauern weiter an. Ein 16-jähriger Bauernsohn, der den beschossenen Traktor gelenkt haben soll, klagt über Schmerzen im Ohr und erklärte der Zeitung "Volkskrant", er sei froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Innenministerin Dilan Yeşilgöz-Zegerius von Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) hingegen will die Ermittlungsergebnisse der Polizei abwarten. Später wurde auch der Flughafen Groningen von wütenden Traktorfahrerinnen und -fahren blockiert, hier blieb es aber friedlich.

Keine Gespräche

Die oppositionelle Agrarpartei Boer-Burger-Beweging (Bauern-Bürger-Bewegung, BBB), die sich als Sprachrohr der Proteste im Parlament versteht, rief Premier Rutte unterdessen erfolglos zu einer Dringlichkeitssitzung auf. Caroline van der Plas, die einzige BBB-Abgeordnete, warnte vor einer weiteren Eskalation. "Das geht schief, sagte ich letzte Woche. Und es geht schief", schrieb sie am Dienstag auf Twitter.

Der "Volkskrant" zufolge hat eine Gruppe von 2.500 Bäuerinnen und Bauern unterdessen Umweltministerin van der Wal einen Zehn-Punkte-Plan Plan für ökologischere Landwirtschaft vorgelegt, den sogenannten "Green Farmers Plan". Ob sie damit durchkommen, ist unsicher. Sjaak van der Tak, Sprecher der Agrargewerkschaft LTO, will sich erst mit der Regierung an einen Tisch setzen, wenn diese von ihren Zielen abrückt. (flon, 8.7.2022)