So trocken wie heuer war der See seit 60 Jahren nicht mehr.

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An langen Leinen schwimmen die Boote im Hafen, so tief, dass sie bereits unter den Steg passen. Dort, wo früher einmal das Wasser stand, sind die Bretter aufgehellt, darunter kommen Steine und Schotter zum Vorschein. Auf dem Wasser ist es ruhig, nur die Fähre fährt weiterhin in den Hafen und bringt einige Besucher von der anderen Seite des Sees mit. "Der Propeller gräbt nur noch im Schlamm", sagt der Fährführer, der seinen Namen lieber nicht sagen will. Besonders an der Küste, aber auch draußen auf dem See werde das Fahren zunehmend schwieriger.

Denn so seicht wie aktuell war der Neusiedler See seit 60 Jahren nicht mehr. An der Pegelstation in Rust liest Christian Sailer den Wasserstand ab: 110,3 Zentimeter steht dort an der Anzeigetafel. 40 Zentimeter stünde das Wasser derzeit unter dem mittleren Jahresdurchschnitt, sagt Sailer, der das Hauptreferat Wasserwirtschaft im Burgenland leitet. Der Grund: Im vergangenen Jahr habe es kaum geregnet, besonders im Winter habe der Niederschlag gefehlt. Da sich der Neusiedler See hauptsächlich aus Regen speise, habe das direkte Auswirkungen auf den Wasserstand. Hinzu kam die Hitze im Frühjahr und im Sommer. "An einem Hitzetag können bis zu sechs bis sieben Millimeter Wasser pro Tag weggehen."

Christian Sailer glaubt, dass eine Austrocknung fatale Konsequenzen für den Neusiedler See hätte.
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Sorge hinsichtlich Austrocknung

Die Befürchtung, dass der Neusiedler See womöglich bald ganz austrocknen könnte, hat in den vergangenen Wochen Wellen geschlagen. Badegäste fürchten um ihren Erholungsort, Hotel- und Restaurantbetreiber sorgen sich um ausbleibende Gäste, Segler fürchten, in Zukunft kaum mehr ausfahren zu können. Dabei ist der See von einer Austrocknung zumindest derzeit noch weit entfernt. Auch Baden und Bootfahren ist weiterhin möglich. Und selbst wenn der Neusiedler See austrocknen sollte, wäre das keine Tragödie, sondern Teil des natürlichen Rhythmus des Sees, der sogar wichtig für das Ökosystem sei, glauben einige Umweltschützer.

In Rust löst die Vorstellung eines weiter sinkenden Wasserstands jedenfalls bei niemandem Freude aus. "Wenn das so weitergeht, hau ich bald den Hut drauf", sagt Nikolaus Zajicek, Segellehrer im Ort. Er hat gerade den Segelunterricht mit einer kleinen Gruppe beendet und das Boot wieder am Steg befestigt. In den vergangenen Wochen hätten viele Leute angerufen und gefragt, ob Segeln und Surfen überhaupt noch möglich sei. Viele, die selbst ein Boot besitzen, hätten dieses aufgrund des niedrigen Wasserstands erst gar nicht ins Wasser gelassen und die Saison bereits abgeschrieben. Tatsächlich wirkt der Hafen in Rust relativ leer. "Zwei Drittel der Liegeplätze am Hafen sind nicht belegt. Normalerweise ist hier alles voll", sagt Zajicek.

Erhöhte Brandgefahr

Ähnliches hört man von anderen Touristikern in der Umgebung. "Es gibt niemanden, der aktuell keine Problem hat", sagt Harald Weiss, der in Rust das Seebad und das dazugehörige Hotel betreibt. Einige der Boote am Stellplatz, der zum Hotel gehört, können wegen des Schlamms mittlerweile nicht mehr ein- oder ausfahren. "Wir müssen versuchen, den Schlamm möglichst bald wieder aus dem See zu bekommen", sagt Weiss.

Nikolaus Zajicek weiß nicht, wie lang er noch segeln kann, wenn der Wasserstand immer weiter sinkt.
Foto: Jakob Pallinger

Auch Christian Sailer ist überzeugt, dass etwas gegen die Austrocknung des Neusiedler Sees getan werden muss. Seit zwei Jahren leitet er die Taskforce Neusiedler See / Seewinkel. Durch den niedrigen Wasserstand sei ein großer Teil des Schilfs rund um den See bereits vom Wasser abgeschnitten. Trockne das Schilf aus, erhöhe das nicht nur die Brandgefahr, sondern führe auch dazu, dass CO2-Emissionen aus den Mooren entweichen, sagt Sailer. Zudem sei der See ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und habe einen hohen emotionalen Wert für viele Menschen.

Zuleitung umstritten

Ab Oktober soll Schlamm aus dem See herausbefördert werden, um den Bootsverkehr wieder zu erleichtern. Auch die Zuleitung von Wasser aus der ungarischen Moson-Donau sei weiterhin geplant. Damit soll eines Tages ein Kubikmeter Wasser pro Sekunde zusätzlich für die Grundwasseranreicherung im Seewinkel, die direkte Bewässerung für die Landwirtschaft und für den Neusiedler See zur Verfügung stehen, sagt Sailer. Der Wasserstand des Sees könne dadurch um rund zehn Zentimeter angehoben werden. Derzeit warte man darauf, dass in Ungarn mit dem Bau des Kanals in Richtung Österreich begonnen wird.

Der Hafen in Rust ist derzeit nur zu einem Drittel mit Booten belegt.
Foto: Jakob Pallinger

Die Maßnahmen stoßen jedoch auf heftige Kritik. "Das Wasser aus der Donau ist völlig anders als jenes im Neusiedler See", sagt Bernhard Kohler, Artenschutzexperte beim WWF. Das kalkreiche Donauwasser würde dazu führen, dass sich noch mehr Schlamm und Algen bilden und der See noch weiter verlande. Der See würde zudem künstlich erhöht werden. Käme es künftig im Zuge des Klimawandels zu Starkregen, müsse dann wieder Wasser über den Einserkanal abgeleitet werden. Dadurch gehe wiederum der Salzgehalt im See verloren, der für das Ökosystem von großer Bedeutung sei.

Natürliche Schwankungen

Tatsächlich vertritt Kohler im Vergleich zu Sailer eine komplett gegensätzliche Meinung: Der Neusiedler See müsse von Zeit zu Zeit auch austrocknen dürfen. Denn große Schwankungen wie Austrocknung und Hochwasser liegen in der Natur eines Steppensees. So sei der Neusiedler See durchschnittlich ein- bis zweimal pro Jahrhundert ausgetrocknet, zuletzt Mitte des 19. Jahrhunderts. Lediglich das vergangene Jahrhundert sei eine Ausnahme gewesen, in dem es zu keiner Austrocknung kam. Bei einer Austrocknung könne sich organisches Material und Schlamm, der sich über die Jahre im See ansammelt, an der Luft zersetzen, der See könne danach wieder mehr Wasser aufnehmen.

Anstatt zusätzliches Wasser in den See zu leiten und bei Hochwasser alles wieder schnell abzuleiten wie in einer Badewanne, sollte lieber versucht werden, Wasser so gut wie möglich zu sammeln und zurückzuhalten, sagt Kohler. Kritische Infrastruktur rund um den See müsse angehoben werden, um im Falle eines Hochwassers gerüstet zu sein. Im Süden des Sees, wo jetzt Weideland ist, könne ein zusätzliches Überschwemmungsgebiet geschaffen werden.

"Eine Austrocknung ist natürlich nicht einfach, vor allem nicht für den Tourismus", sagt Köhler. Allerdings gebe es ja nicht nur Bade- und Bootstouristen, sondern auch Radfahrer und Nationalparkbesucher, die auch danach noch in den Seewinkel kämen.

Weniger Grundwasser

Susanne Hanger-Kopp, Forscherin am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, glaubt nicht, dass es für die Zukunft des Seewinkels eine einfache Lösung gibt. Immerhin hängen viele Interessen wie auch die der Landwirtschaft an der Entwicklung der Region. Die Landwirtschaft sei für die Bewässerung stark abhängig vom Grundwasser. Viele Landwirte würden jedoch den Grenzwerten des Grundwasserpegels, ab welchen nicht mehr bewässert werden darf, immer öfter gefährlich nahekommen. Manche der Brunnen würden schon nicht mehr das Grundwasser erreichen.

Laut Sailer sei die Nachbildung von Grundwasser in der Region schon niedriger als die Entnahme. Zwar habe die Bewässerung der Landwirtschaft zunächst nichts mit dem niedrigen Wasserstand im Neusiedler See zu tun. Indirekt könne ein Absinken des Grundwasserpegels jedoch zu einer Degenerierung der Salzlacken im Seewinkel führen, wenn deren Interaktion mit dem Grundwasser gekappt ist. Es brauche deshalb auch neue Genehmigungen und Regulierungen, wann in Trockenphasen künftig wie viel Wasser für die Bewässerung entnommen werden darf. Zudem müsse noch mehr auf wassersparende Bewässerungssysteme und weniger wasserintensive Kulturarten gesetzt werden. Nicht zuletzt soll auch die Zuleitung aus der Moson-Donau Abhilfe für die Bewässerung schaffen.

Hausgemachte Probleme

Etwas weiter oben am Hügel über Rust fährt Gerhard Just mit dem Traktor zwischen seinen Weinreben. Bewässerungsbedarf habe er grundsätzlich nicht, da der Weinstock sehr genügsam sei, sagt der Weinbauer. Der Neusiedler See trage jedoch im Herbst zu Dunst und Feuchtigkeit am Hügel und damit zur Bildung von Botrytis bei, einem Pilz, der für die Herstellung der edelsüßen Weine am Neusiedler See wichtig ist. Auch einen Wegfall der Gäste für den Ab-Hof-Verkauf fürchtet er, sollte der See eines Tages austrocknen.

Als Weinbauer sei auch er indirekt vom See abhängig, sagt Gerhard Just.
Foto: Jakob Pallinger

Viele der Probleme seien hausgemacht, sagt Just. Jahrelang habe man die Umgebung mit Hotels und Restaurants zugepflastert und viel Wasser des Sees über den Einserkanal abgeleitet, um Hochwasser zu verhindern. Nun habe jeder Angst vor einer Austrocknung, die es ja früher immer wieder einmal gab.

An Wunder glaube er jedenfalls nicht mehr, sagt Zajicek. Bis zum Herbst werde das Wasser wohl weiter zurückgehen. Dafür sprechen auch viele der Prognosen, auf die sich Sailer stützt. Bis tatsächlich kein Wasser mehr da ist, dürfte es aber (zum Glück) noch einige Zeit dauern. (Jakob Pallinger, 10.7.2022)