Leonore Gewessler während einer Pressekonferenz im Brenner-Basistunnel am Donnerstag.
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Vergangener Dienstag, wieder einmal findet eine Pressekonferenz zur Energiekrise statt. In den Tagen zuvor ist das Tempo zurückgegangen, mit dem sich Österreichs Gasspeicher gefüllt haben. Die türkis-grüne Regierung fürchtet nun, dass sie ihr Ziel verfehlt, die Speicher mit Winterbeginn zu 80 Prozent vollzubekommen. Auftritt Klimaschutz- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne): Noch sei es nicht notwendig, den Alarmzustand in Sachen Gasversorgung auszurufen, sagt sie ruhig. Die Lage habe sich gerade wieder leicht entspannt. "Wenn wir auf den Speicherraten weitermachen, ist das Einspeicherziel erreichbar."

Kühl, sachlich, ohne Pathos, ohne Panik, fast schon technokratisch: So führt Gewessler durch die größte Energiekrise seit den 1970er-Jahren. Mangels Alternativen – vom Bundeskanzler hört man wenig zur Krise, vom Bundespräsidenten ebenso – fällt die undankbare Aufgabe vor allem der Klimaschutzministerin zu. Gewessler muss heute die Trümmer zweier Jahrzehnte politischer Versäumnisse aufräumen: Vergangene Regierungen haben sich weder ausreichend um den Ausbau erneuerbarer Energien gekümmert noch sonst wie die Abhängigkeit von Russland reduziert, obwohl Legionen an Experten vor deren Gefahren gewarnt haben.

In der Notsituation fliegen Grundsätze der Grünen über Bord, wie man es noch vor einem Jahr für unmöglich gehalten hätte. Der Import von Flüssiggas aus Fracking-Quellen? Die Verpflichtung für Unternehmen, von Gas auf noch klimaschädlicheres Öl umzustellen? Gar die zeitweilige Reaktivierung von Kohlekraft? Alles notwendig, alles kein Problem. Gewessler tut, was getan werden muss.

Was getan werden muss ...

Und es muss tatsächlich getan werden. Kommt es zu weiteren Einschränkungen oder gar einem Ausfall russischen Gases, drohen nicht nur Preisexplosionen, sondern auch eine schwere Wirtschaftskrise, die wohl die Verwerfungen der Corona-Pandemie weit in den Schatten stellen würde. Je näher die Heizsaison rückt, desto eher ist damit zu rechnen, dass Putin von dieser seiner wichtigsten wirtschaftspolitischen Waffe Gebrauch machen wird.

Angesichts dessen fügen sich die Grünen gerade ins Unvermeidliche. Kritik an Gewessler hört man kaum unter Grün-Sympathisantinnen. Deren beliebtestes Icon in diesen Wochen auf Social Media: der weinende Smiley. Wir müssen die Krot schlucken, so die Botschaft, so bitter es auch sei. Sogar die Umweltschutzorganisation Global 2000, in der Gewessler selbst tätig war, befürwortet derzeit etwa Kohlekraft "in zeitlich eng begrenzten, akuten Notfällen".

Und trotzdem: Bei allem notwendigen Pragmatismus fällt bei Gewessler ein Aspekt unter den Tisch – von den anderen Regierungsmitgliedern ganz zu schweigen. Es fehlt eine große Einordnung zur Tragweite dieser Krise. Kaum je hört man Politiker in Österreich sagen, dass die Ära der billigen Energie endgültig vorbei sei. Dass wir deshalb einen ganz neuen Zugang zu Energie brauchen: Der Strom aus der Steckdose und das Gas in der Therme dürfen spätestens jetzt nicht als selbstverständlich erachtet und müssen äußerst sparsam verwendet werden. Energie verursacht hohe Kosten in Form von Klimaschäden und geopolitischer Abhängigkeit.

Damit verbunden gilt es, den Menschen im Land zu vermitteln, dass der Höhepunkt der Krise erst ab Herbst bevorsteht – wofür sehr vieles spricht. Und schließlich müsste man betonen, dass die Krise, bei all ihren Härten, auch Chancen in sich birgt, transformatives Potenzial. Sie öffnet das Zeitfenster für die längst überfällige, beschleunigte Wandlung des Energiesystems hin zur Klimaneutralität und zu weniger geopolitischer Erpressbarkeit – zumindest wenn sich die Lage insoweit stabilisiert hat, dass der Notbetrieb in Kohlenmeilern und auf Fracking-Feldern wieder zurückgefahren werden kann.

... birgt auch Chancen

Doch derlei grundsätzliche Gedanken zur Krise bleiben unterbelichtet in Österreich. Einen anschaulichen Beleg dafür lieferte vergangene Woche – unfreiwillig – der ÖVP-Abgeordnete und Seilbahnen-Chef Franz Hörl. Er polterte, dass "wir nicht zuschauen werden", falls im Fall eines Energienotstandes Seilbahnen geschlossen würden. Als wäre deren Stillstand nicht eines der geringeren Probleme in Österreich, sollte das Gas wirklich ausbleiben.

Doch ebendiese Tragweite der Krise dringt nicht durch zu vielen Menschen im Land. Auch, weil die Regierung dies nicht vermittelt. Gewessler managt die Krise durchaus professionell. Aber sie ordnet sie kaum ein.

Gegenbeispiel Deutschland. Dort sagt Amtskollege Robert Habeck, ebenfalls ein Grüner, Sätze wie: "Wir werden ärmer werden." Auch setzt man dort bereits heute auf eine Energiesparkampagne, mit deren Hilfe bis zu zehn Prozent an Energie gewonnen werden könnte. In Österreich hingegen soll eine solche erst mit der Heizperiode anlaufen; früher hält man es nicht für notwendig.

Pragmatismus und eine ruhige Hand sind zweifellos wertvolle Eigenschaften in einer Krise. Doch es braucht dazu auch noch eine große Erzählung, einen Appell, die gesellschaftliche Aufgabe gemeinsam zu bewältigen. Genau diese Aufgabe steht nämlich bevor. Früher oder später wird Leonore Gewessler den Menschen das sagen müssen. (Joseph Gepp, 9.7.2022)