Das alte Kraftwerk in Mellach wirkt aus der Zeit gefallen. Nun soll es reaktiviert werden.

Foto: J.J. Kucek

Wer auch immer vor den zwei Kraftwerken in Mellach steht, erkennt sofort, welches davon stillgelegt ist und welches noch läuft: Das eine glänzt silbrig, ist modern gebaut, ein schnörkelloser Klotz, der seit 2011 hier werkt. Ein Knattern beweist den aufrechten Betrieb. Bis heute wird hier Gas verbrannt und über Turbinen in Strom umgewandelt, zum Teil wird mit der daraus entstehenden Wärme das nahe Graz mit Fernwärme versorgt.

Der zweite Meiler steht direkt daneben und wirkt wie die Kulisse aus einem Apokalypsefilm: braune und rote Module mit abgerundeten Kanten, als hätte ein Kind ein Modell aus Schachteln und Klopapierrollen gebastelt. Ein aus der Zeit gefallener Bau aus den 1980er-Jahren. Ein Relikt aus einer Zeit, in der man noch alles verbrannte, was man in der Erde fand, weil sich niemand um die Auswirkungen auf das Klima kümmerte.

Ökologische Katastrophe

Jetzt soll dort wieder Steinkohle verbrannt werden. Ökologisch ist das eine Katastrophe. Ausgerechnet die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler hat diesen Schritt beschlossen: als Notfallmaßnahme, falls Gaslieferungen aus dem Osten ausbleiben. Der Krieg in der Ukraine holt Österreichs letztes Kohlekraftwerk aus dem Ruhestand.

Für die Bevölkerung vor Ort war das Kraftwerk anfangs ein Ärgernis, wegen des Drecks in der Luft. Später ein wichtiger und beliebter Arbeitgeber. Zum Schluss hat es niemanden mehr so richtig interessiert, die Abschaltung 2020 wurde schulterzuckend zur Kenntnis genommen.

Und nun, wo das Kraftwerk wiederbelebt wird? Was halten die Menschen in der Umgebung des Kraftwerks davon, dass ihre Gegend wieder zu Österreichs Kohlezentrum wird?

Ärger über "die Politiker"

Früher sei das Kohlekraftwerk ein beliebter Arbeitgeber gewesen. Das erzählt die 71-jährige Eveline, die mit ihrem Mann Johann beim Dorfgasthaus auf der anderen Seite des Flusses in Wildon sitzt. Von ihrem Tisch auf der Terrasse des Lokals sieht man die Schornsteine der beiden Wärmefabriken hinter den Einfamilienhäusern hervorlugen. Als dort noch viele Leute beschäftigt waren, hätte das auch mehr Geschäft gebracht, ergänzt die Wirtin. Dass das alte Kohlekraftwerk wieder viele Arbeitsplätze in die Region bringen würde, diese Illusion macht sich hier niemand.

Johann und Eveline hat das Kraftwerk nur anfangs gestört, bevor die modernen Filter eingebaut waren.
Foto: J.J. Kucek

Soll man das alte Kraftwerk nun dennoch wieder einschalten? "Ich fürchte, dass uns nichts anderes übrig bleiben wird", sagt Eveline. Aber interessant sei es schon "mit unseren Politikern": Zuerst sei die Kohle furchtbar böse, plötzlich braucht man sie wieder. Die Polemik der Steirerin bringt Gewesslers Dilemma auf den Punkt: Jahrelang haben die Grünen die Kohle als den Klimakiller angeprangert, der sie ist. Nun sind sie darauf angewiesen, um Energiesicherheit zu gewährleisten. Die Stimmung in der Bevölkerung gibt Gewessler Rückenwind: Zwar sprechen sich laut einer Gallup-Umfrage nur 39 Prozent der österreichischen Bevölkerung für Energie aus Kohle aus. Aber 61 Prozent sind für die Reaktivierung des Werks in Mellach.

Grenzen und Hürden der Energiewende – ein besseres Beispiel als Mellach gibt es nicht. Nicht nur wegen der Reaktivierungspläne des alten Kraftwerks, sondern auch wegen der Rolle des neuen: Dort wird bis heute Gas dann verbrannt, wenn Sonne und Wind nicht liefern und das Stromnetz trotzdem Spannung braucht. Ein modernes Gaskraftwerk ist freilich viel weniger klimaschädlich als das alte Kohlewerk.

Dreck auf den Autos

Anfangs, wirft Evelines Mann Johann (72) ein, sei es rund um Mellach wirklich arg gewesen: In den 1980er-Jahren, bevor nämlich die modernen Filter im Kraftwerk eingebaut waren, sei der Dreck aus dem Schlot auf den Autos liegen geblieben. Später, sind sich beide einig, habe man nichts mehr vom Betrieb mitbekommen. Das Kraftwerk habe weder Lärm gemacht noch gestunken.

Einer der Anrainer, den DER STANDARD vor Ort trifft, wird sich nach dem Gespräch für seinen emotionalen Ausbruch entschuldigen. Nicht weil er sich so über die Auswirkungen des Kohle-Comebacks auf ihn selbst echauffiert hätte – die gibt es nämlich nicht. Er habe vom Kraftwerk auch nichts mitbekommen, bevor es 2020 stillgelegt wurde, obwohl sein Haus nur einen kurzen Spaziergang entfernt liegt.

Aber dass Europa nun so sehr unter den Sanktionen leide, die "den Herren im Osten" so gar nicht kümmerten, das bringt ihn aus der Fassung. "Wir haben uns das selber eingebrockt. Selber schuld", sagt der junge Mann zynisch, während hinter ihm ein Rasenmähroboter seine Arbeit verrichtet. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.

"Wir hätten 30 Jahre Zeit gehabt, um etwas zu entwickeln, damit wir nicht so abhängig vom Gas sind", fährt der Steirer fort. Nun sei die Wiederaufnahme des Betriebs ein "notwendiges Übel". Ihn selbst treffe das Ganze kaum. Vom Gas ist er unabhängig – dank seiner Ölheizung. 4000 Liter hat er eingelagert, "das reicht locker für einen Winter". In absehbarer Zeit will er aber auf ein nachhaltigeres Heizsystem umsteigen. Beim Einkaufen merke er zwar schon die heftigen Preissteigerungen. 30, 40 Euro mehr zahlt er bei einem größeren Lebensmitteleinkauf. Er selbst zählt sich aber zu "den Glücklichen, die sich das Leben noch leisten können".

Keine Spur vom Kraftwerk

Die Ortschaft Mellach ist seit der steirischen Gemeindestrukturreform 2010 Teil der neuen Gemeinde Fernitz-Mellach. Mit dem Auto liegt der Ort gerade einmal eine halbe Stunde von Graz entfernt – während beim Herausfahren aus der Landeshauptstadt Industriebetriebe die Straße säumen, liegt Mellach romantisch im Grünen. Rund 1500 Menschen leben hier, an einem Nachmittag unter der Woche wirkt der Ort vor allem verschlafen. Den Mellachberg abwärts schlängelt sich der kleine Ortsteil bis zur Mur. Wegen des dichten Waldes, der Hügel und der verschlungenen Wege sieht man die beiden Kraftwerke erst, wenn man direkt davor steht. Bis dahin sind sie nicht zu erahnen. Vom Betrieb selbst ist auch in unmittelbarer Nähe nichts zu spüren.

Mellach liegt romantisch außerhalb von Graz im Grünen. Von den Kraftwerken bekommt man anfangs gar nichts mit.
Foto: J.J. Kucek

Das wird sich wohl auch künftig nicht ändern, selbst wenn das Kraftwerk wieder in Betrieb genommen wird. Und das ist ein großes Wenn: Gewessler hat die Vorarbeiten dafür in Auftrag gegeben, aber tatsächlich aktiviert soll es nur im Notfall werden, wenn Gaslieferungen ausbleiben.

Und: Der Verbund kann noch immer nicht sagen, ob das überhaupt funktionieren würde. Derzeit wird die Reaktivierung des Kraftwerks geprüft, und zu prüfen gibt es offenbar einiges: Das Werk wurde zuletzt, bis zu seiner Einstellung 2020, mit Gas betrieben – und müsste wieder auf den Kohlebetrieb umgerüstet werden. Das sei technisch machbar, versichert die Verbund. Die großen Hürden liegen aber anderswo. Nämlich beim passenden Personal, das nur noch schwer zu finden ist. Und beim Rohstoff Steinkohle, den man ja auch erst einmal besorgen müsste. Auch die gesetzliche Grundlage für das Wiedereinschalten fehlt dem Vernehmen nach.

Gongschläge in der Nacht

Eine Mellacherin teilt die Zweifel, ob das Kraftwerk tatsächlich wieder zum Laufen gebracht werden kann: "Es ist ja schon recht desolat." Die 85-Jährige lebte hier schon, lange bevor 1983 mit dem Bau begonnen wurde. "Das ist ja damals ein Mordsstreit gewesen, auch ich habe keine Freud’ damit gehabt", sagt sie. Am Ende sei über die Bevölkerung aber einfach "drübergefahren" worden. Ein Gong habe die Schichtarbeiter damals mitten in der Nacht zur Arbeit gerufen, da habe sie sich schon gefragt: "Muss das sein?" Aber ansonsten habe sie vom Betrieb nicht viel mitbekommen. Wie alle anderen, mit denen DER STANDARD gesprochen hat.

Und wenn das Ding nun wieder eingeschaltet wird? Wenn die Energie gebraucht wird, wird sie halt gebraucht – und wenn das Gas nicht kommt, müsse man sich halt andere Wege überlegen, sagt die Frau. "Mir ist es gleich", sagt sie. "Ich kann ja nichts dagegen machen." Es wäre ihr nur lieb, wenn nicht wieder spätnachts der Gong läutete. (Sebastian Fellner, 10.7.2022)