Almuth Schult ist bei Deutschland nurmehr die Nummer zwei hinter Merle Frohms. Nach ihrer Schwangerschaft musste sie erst den Weg zurück zum Leistungssport finden.

Foto: imago images/regios24/Darius Simka

Die Deutsche Melanie Leupolz (re) will ein Vorbild sein.

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Viktoria Schnaderbeck macht sich Gedanken. Vielleicht auch, wenn sie wie am Freitagmittag neben dem Trainingsplatz im Pennyhill Park auf dem Ergometer sitzt. Vielleicht aber strampelt sie auch nur. Ihre Teamkolleginnen bereiten sich auf dem Platz auf die Partie gegen Nordirland am Montag vor. Nicht nur in England ist Kapitänin Schnaderbeck eine gefragte Interviewpartnerin. Gerade weil sie sich Gedanken macht. Die Steirerin scheut sich nicht vor den großen Themen, spricht über den Stellenwert des Frauenfußballs, äußert ihre Überlegungen zu gleicher Bezahlung, zu Vergleichen mit den Männern, dazu, wie alles einmal war, wie alles vielleicht einmal sein wird. Vor zwei Jahren sprach sie mit dem STANDARD auch über das Thema Mutterschutz: "Man ist Fußballerin und kann dadurch nicht Mutter sein", sagte sie damals.

Vor ein paar Tagen, ein paar Kilometer weiter: Die deutsche Tennisspielerin Tatjana Maria schafft es beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon sensationell bis ins Halbfinale. Das Bemerkenswerte, die Headline, die über fast allen Porträts zur 34-Jährigen schwebt: Sie ist Mutter zweier Kinder. Gerade im Einzelsport kommt es, selten, aber doch immer wieder, vor, dass Frauen während ihrer aktiven Zeit Kinder bekommen. Im Tennis denkt man sofort an Serena Williams oder Kim Clijsters, in der Leichtathletik an Shelley-Ann Fraser-Pryce oder Allyson Felix, beim Schwimmen an Dara Torres.

Auch im Teamsport bleibt es mittlerweile nicht mehr bei Ausnahmen. Zur Regel wird es dennoch nicht. Keine der aktuellen Spielerinnen der österreichischen Auswahl hat Kinder, vom Kader der EM 2017 war nur Ersatztorhüterin Jasmin Pfeiler bereits Mutter.

Auto schneller als die Pilotin

Beim Frauenfußball entsteht der Eindruck, dass die Professionalisierung schnell voranschreitet, dabei aber Grundlegendes auf der Strecke geblieben ist oder übersehen wurde. Wie wenn das Auto schneller als die Pilotin ist. Für viele Spielerinnen stellt sich nach wie vor die Frage: Karriere oder Kinder? Beides lässt sich offensichtlich nur schwer vereinbaren. Im europäischen Verband Uefa ist man sich der Problematik bewusst. Nadine Keßler, die Abteilungsleiterin Frauenfußball, sagte vor der Euro gegenüber dem STANDARD: "Wir haben bereits Regularien eingeführt, die den Druck von den Spielerinnen nehmen sollen. Denn keine Frau sollte sich zwischen Karriere und Kindern entscheiden müssen." Beim Weltverband Fifa wurde ein 14-wöchiger Mutterschaftsurlaub verankert, Vereine dürfen ihre Spielerinnen nicht mehr wegen einer Schwangerschaft kündigen, müssen sie nach ihrer Rückkehr wieder aufnehmen und für die entsprechende medizinische Unterstützung sorgen. Seitens der Champions League erhielten die teilnehmenden Vereine ab der Saison 2021/22 die Möglichkeit, ihre Kaderlisten während der Saison anzupassen, um Spielerinnen, die schwanger sind oder in den Mutterschutz gehen, vorübergehend zu ersetzen.

Blaue Flecken

Dass Almuth Schult bei der EM in England ihrer Kollegin Merle Frohms den Vortritt als Einser-Keeperin lassen muss, tut der 31-Jährigen "natürlich weh. Es wäre auch etwas Besonderes gewesen, überhaupt als Mama mal wieder ein Länderspiel zu machen." Schult war lange die deutsche Nummer eins (64 Länderspiele), Verletzungen und die Geburt von Zwillingen zwangen sie in die Pause. Im Interview mit der Bild sprach die Wolfsburg-Keeperin über ihren Weg zurück: "Das Schwierigste war das Torwartspiel. Viele Sprünge mit Erschütterungen für den Körper, insbesondere für den Rumpf, unter anderem auch für den Beckenboden." Zudem würde man als Torhüterin "auch gern mal aus zwei Metern Entfernung überall am Körper angeschossen". Auch die körperliche Veränderung machte es schwierig, wieder in den Leistungssport zu finden: "Man hat eine hormonelle Umstellung. Mein Gewebe war so weich, dass ich am ganzen Körper blaue Flecken hatte."

Gar nicht erst in England dabei ist ihre Kollegin Melanie Leupolz. Im März wurde bekannt, dass die Chelsea-Spielerin schwanger sei. Die Reaktionen: durchaus positiv. Das ist nicht selbstverständlich. Denn Leupolz hatte anfänglich ein "unangenehmes Gefühl, den Verantwortlichen meine Schwangerschaft mitzuteilen. Die Trainerin plant ja mit einem." Die Schwangerschaft während der Karriere war für die 28-Jährige natürlich Neuland: "Als ich es erfuhr, habe ich erst einmal gegoogelt, welche Rechte Leistungssportlerinnen in solchen Fällen haben – aber man findet fast gar nichts." Sie möchte ein "Vorbild sein und zeigen, dass man sich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden muss".

Übrigens: Wenn Österreich am Montag auf Nordirland trifft, könnte bei den Gegnerinnen wie gegen Norwegen auch Marissa Callaghan eingewechselt werden. Ihr Sohn Quinn dürfte sich dann ganz besonders freuen. (Andreas Hagenauer aus Camberley, 9.7.2022)