Die Gasspeicher (im Bild jener in Haidach im Bundesland Salzburg) sollen bis zu Beginn der Heizsaison zu 80 Prozent voll sein. Experten bezweifeln, dass das geht.

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In Deutschland und zunehmend auch in Österreich wächst die Nervosität dahingehend, was mit den Gaslieferungen aus Russland passiert. Ab Montag fällt eine wichtige Verbindung von den Gasfeldern in Westsibirien aus. Die Ostseepipeline Nord Stream 1 muss gewartet werden, die Arbeiten sind auf zehn Tage anberaumt. Das hat der russische Gasmonopolist Gazprom schon vor längerem angekündigt. Dass am 21. Juli, das ist Donnerstag übernächster Woche, wieder Gas fließt wie gehabt, bezweifeln Experten. Manche sprechen bereits von Kriegswirtschaft, auf die sich Europa schnellstmöglich vorbereiten müsse.

Einer, der das Wort Kriegswirtschaft in den Mund nimmt und damit weitreichende Eingriffe der europäischen Staaten in Wirtschaft und Gesellschaft meint, ist Günther Oettinger. Der frühere EU-Energiekommissar, der in seiner aktiven Zeit mehr als einmal als Brandlöscher im wiederholt aufgeflackerten Streit zwischen Russland und der Ukraine unterwegs war, sieht schwarz für diesen Winter.

Fehlendes Gas in Speichern

"Die Gasspeicher werden sicher nicht voll bis Herbst, wir werden eine Notbewirtschaftung erleben", prognostiziert Oettinger. "Putin spielt mit uns, will uns spalten. Er wird einmal mehr, einmal weniger Gas schicken oder gar keines, ganz wie es ihm beliebt." Ging es beim Streit zwischen Moskau und Kiew dazumal um unterschiedliche Preisvorstellungen für russisches Gas, habe sich die Sachlage seit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine komplett verändert.

"Weizen, Saatgut und Energie sind neben Panzern, Artillerie, Raketen und biochemischen Waffen die Hauptinstrumente, mit denen sich Russlands Präsident den Westen gefügig machen will", sagte Oettinger bei einem von Verbund organisierten deutsch-österreichischen Expertentreffen in Berlin. Um so dringlicher sei es, Gas wo immer möglich zu sparen, um so die absehbare Not im Winter zu lindern. 18 Grad in der Wohnung und zwei Pullis, das sei in der Abwägung besser, als weite Teile der Industrie zusperren zu müssen, weil nicht genügend Gas da ist.

Gemeinsamer Gaseinkauf

Darüber hinaus müssten in Europa alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um den gemeinsamen Einkauf von Gas aus alternativen Quellen – sprich nicht aus Russland – auf den Weg zu bringen. So eine Plattform ist im Aufbau, Österreich hat nach Angaben von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) auch schon Mengenwünsche angemeldet; noch ist die Plattform aber nicht operativ. Wann es so weit ist, steht in den Sternen.

Nun rächt sich, dass es in Europa 27 unterschiedliche Ausprägungen von Energiepolitik gibt. Die Nationalstaaten haben sich diese Zuständigkeit nie aus der Hand nehmen lassen. Wenn Ex-Kommissar Oettinger "eine Europäisierung der Energiepolitik" anmahnt wie bei der Veranstaltung in Berlin, findet er vor dem Hintergrund der aktuellen Gaskrise viele Unterstützer.

Gastherme gut einstellen und die Raumtemperatur senken: Wer Energie spart, spart auch Heizkosten.
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"Kein Land schafft das allein, dazu ist EU-weite Solidarität notwendig", sagt etwa Verbund-Chef Michael Strugl. Während Karoline Edtstadler (ÖVP) als Europaministerin optimistisch ist, dass aus Corona die richtigen Lehren zur Bewältigung auch der Gaskrise gezogen wurden, geht Oettinger alles zu langsam. Eine Bedarfserhebung müsse her, wer kurz-, mittel- und langfristig wie viel und in welcher Form Energie benötigt. Dazu einen Plan, wie der Bedarf abgearbeitet werden kann. Und noch im Sommer sollten sich die EU-27 bei einem Ratstreffen darauf verständigen, wie die vielbeschworene Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten im Ernstfall funktionieren kann und soll.

Inflation auf 18 Prozent?

Unterdessen ziehen die Energiepreise weiter an, und ein Ende der Fahnenstange ist, solange der Krieg kein Ende findet, wohl nicht in Sicht – im Gegenteil. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr wies in Berlin darauf hin, dass sich die Inflation bei einem Gaslieferstopp im Winter auf 18 Prozent verdoppeln könnte. Auf den Konjunkturverlauf im Gesamtjahr hätte dies kaum Auswirkungen, ab Dezember könnte es aber "möglicherweise sehr dick kommen", sagte Felbermayr.

Es drohten kriegswirtschaftliche Zustände samt Verteilungskämpfen, protestierende Menschen auf den Straßen und Kurzarbeit, die in die Hunderttausende, in Deutschland in die Millionen gehen könne. Einmalzahlungen, wie sie von der Bundesregierung zur Dämpfung der ersten Belastungswelle auf den Weg gebracht wurden, reichten dann nicht mehr, zumal, wie Verbund-Chef Strugl anmerkte, bei Strom etwa erst die Hälfte der Preissteigerungen beim Endkunden angekommen sei, bei Gas noch weniger.

Preisdeckel

Ob ein Preisdeckel bei Gas helfen könnte, die Teuerung nachhaltig zu bremsen, bleibt in Expertenkreisen umstritten. Das beste Mittel, um gegen die Teuerung anzukämpfen, sei der Ausbau erneuerbarer Energien. Strom aus Windkraft- und Solaranlagen würde, da vergleichsweise günstig produziert, den teuren Strom aus Gaskraftwerken aus dem Markt drängen. Rasch geht das aber auch nicht. (Günther Strobl aus Berlin, 8.7.2022)