Auch der Normalweg auf den Großglockner ist in Summe deutlich schwieriger geworden.

Foto: Thomas Neuhold

Der Eissturz an der Marmolata in den Dolomiten mit vielen Toten am vergangenen Sonntag hat die alpine Welt in Aufregung versetzt. "Bergsteigen trifft Klimakrise" titelte der Österreichische Alpenverein (ÖAV). Die Südtiroler Bergsteigerlegende Reinhold Messner wiederum formulierte gewohnt pointiert: "Durch die globale Erwärmung werden die Gletscher immer dünner, und wenn sie fallen, stürzen sie wie Wolkenkratzer herab."

Mit etwas zeitlichem Abstand zur Katastrophe an der Marmolata werden die Töne um eine Nuance differenzierter. Der Bergführer und ehemalige Präsident des Salzburger Bergführerverbandes Günter Karnutsch beispielsweise warnt vor zu viel "Panikmache".

Die objektiven Gefahren wie etwa Gletscherspalten, Eisstürze und Steinschlag nähmen zwar vor allem beim klassischen Alpinismus zu und machten viele Routen im Hochgebirge de facto unbegehbar. Der Bergwanderer und die Bergwanderin hingegen "haben wenig zu befürchten".

Kurzer Nachsatz von Karnutsch: wenn man nicht gerade unter der Bischofsmütze stehe. Der mit 2458 Metern höchste Berg des Gosaukamms im Dachsteingebiet zerbröselt regelrecht. Zwei massive Bergstürze 1993 sind gerade noch glimpflich ausgegangen. Seither wird der formschöne Gipfel von der Salzburger Landesgeologie genau überwacht.

Die Bischofsmütze im Gosaukamm "zerbröselt". Bergstürze vor rund 20 Jahren gingen aber glimpflich aus.
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Wege in Gefahr

Aber auch an anderen Gipfeln nagt der Zahn der Zeit: In Bergsteigerkreisen wird beispielsweise über eine Sperre des Rettensteins (2366 m) in den Kitzbüheler Alpen spekuliert. Niemand wisse, wie lange die Wege hier noch halten, wann gesperrt werden müsse, erzählen die Einheimischen.

Eine Entwicklung, die auch für das Wandervolk neue Gefahren birgt. "Vor allem in den Nordwest- und Südstaulagen vom Karwendel über Salzburg bis ins oberösterreichische Alpenvorland genauso wie am Karnischen Kamm von Kärnten bis nach Osttirol bilden sich Hotspots, wo durch vermehrte Wetterextreme auch beachtliche Schäden am Wegenetz entstehen", sagt Georg Unterberger, Chef der Wegerhalter beim ÖAV.

Die Alpen sind von einem dichten Wegenetz durchzogen. Auch den Wegen setzen die vielen Wetterextreme zu.
Foto: Thomas Neuhold

Als Beispiele nennt er die Schäden im Sommer 2021 durch Starkregen und Muren im Oberpinzgau und Mariazellerland, durch den Felssturz beim Bösen Tritt in Vorarlberg, durch Unwetter im Wildgerlostal und beim Zustieg zur Sillianer Hütte am Karnischen Kamm. Für Wanderer und Wanderinnen heißt das: Wegsperren und andere Warnhinweise sind unbedingt ernst zu nehmen. Es herrscht unter Umständen Lebensgefahr.

Der Kitt der Alpen

Noch dramatischer wird die Sache, spricht man mit "alten Hasen" wie Karnutsch über das Bergsteigen im Hochgebirge: Die Erwärmung und die Gletscherschmelze gingen derart rasch vor sich, dass auch Landkarten oder Führerliteratur jüngeren Datums oftmals unbrauchbar seien.

"Die Gefahr von Eis- und Felsschlag, die Absturzgefahr auf steilen Blankeisfeldern sowie die erhöhte Spaltensturzgefahr auf dünner Firnauflage sind konkrete Beispiele für die Zunahme des Gesamtrisikos beim Bergsteigen, die unmittelbar mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen", fasst der Alpenverein zusammen.

Viele Felsstürze seien auf das Abschmelzen des Permafrosteises zurückzuführen, der "Kit der Alpen" löse sich langsam auf. Davon betroffen seien vor allem steile Felsflanken, nordseitig ausgerichtet und auf über 2500 Meter Seehöhe, sagt Marco Gabl, Experte für Wege und Kartografie beim ÖAV. "Je heißer der Sommer, desto tiefer taut der Permafrost, und desto instabiler werden auch die steilen Felswände."

Was bedeutet das für die Tourenplanung? Klassische Hochtouren ins vergletscherte Hochgebirge verschieben sich in Richtung Frühjahr, weil man noch mehr Schnee auf den Gletschern vorfindet, die Bedingungen also geeigneter sind.

Wie deutlich die Veränderungen im Hochgebirge sind, zeigt der Rauriser Sonnblick (3106 m), wo sich auf dem Gipfel auch Österreichs höchstes Wetterobservatorium befindet. Erstmals sind die Gletscher hier bereits Anfang Juli komplett ausgeapert und blank.

Defensives Verhalten

Fast überall in den österreichischen Alpen haben sich zahlreiche Normalanstiege auf bekannte Gipfel stark verändert. "Der Großglockner ist durch den Eisrückgang am Normalweg deutlich schwieriger geworden", sagt Bergführer Karnutsch. Das Zuckerhütl in den Stubaier Alpen werde von den lokalen Bergführern im Sommer seit einigen Jahren wegen Steinschlaggefahr gar nicht mehr angeboten, heißt es vonseiten des ÖAV. Sogar das Matterhorn in der Schweiz werde aufgrund des auftauenden Permafrostes regelmäßig komplett gesperrt.

Die Gletscher schmelzen im Rekordtempo. Vielerorts ist dies auch für Laien mit bloßem Auge erkennbar.
Foto: Thomas Neuhold

Der Alpenverein rät, sich vor geplanten Hochtouren bei den lokalen Bergführerbüros und Hütten über die Verhältnisse zu informieren. Vor allem heuer, wo der Winter sehr niederschlagsarm war und die Firnauflage zu einem großen Teil bereits jetzt im Frühsommer weggeschmolzen ist – und ein Hitzerekord den nächsten jagt.

Es sei "deutlich defensives Verhalten" angesagt, fasst Günter Karnutsch seinen Appell an alle Liebhaber der Berge zusammen. Wobei es immer ein Restrisiko gebe, wie Karnutsch unumwunden zugibt. "Das auf der Marmolata, das hätte mir auch passieren können."(Thomas Neuhold, 9.7.2022)