Am 16. März, wenige Tage nach dem sogenannten Anschluss an Nazideutschland, werden österreichische Polizisten auf dem Wiener Heldenplatz auf Adolf Hitler vereidigt.
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Sie spielten eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Bevölkerung von 1938 bis 1945 und waren wesentlich am Holocaust beteiligt. Österreichische Polizisten schützten die Bevölkerung nicht, sondern halfen dabei, die NS-Diktatur rasch und gnadenlos zu installieren. Doch wie genau vollzog sich die Wandlung der Polizei nach dem sogenannten Anschluss?

Hatten alle Polizisten ihre Hakenkreuz-Armbinden Anfang März 1938 schon im Spind? Was passierte mit jenen, die nicht dem neuen "Führer" dienen wollten? Und wie verfuhr man nach 1945 mit jenen, die als überzeugte Nazis Karriere machten und jahrelang dem Terror dienten? Diesen Fragen will man in Österreich nun auf den Grund gehen.

Brüche und Kontinuitäten

"Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938–1945" war der Titel eines Symposiums im Innenministerium Ende Juni, bei dem ein Zwischenstand eines großangelegten Forschungsprojekts präsentiert wurde. Das Innenministerium (BMI) fördert dafür die Untersuchungen international renommierter Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Wien bis New York zum Zwecke der Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit der Polizei. Angestoßen wurde das schon vom Vorgänger von Innenminister Gerhard Karner, also von Bundeskanzler Karl Nehammer.

Historikerinnen und Historiker der Universität Graz arbeiten hierfür mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK) seit Anfang dieses Jahres eine Geschichte auf, die bisher eigentlich überraschend schlecht beleuchtet war. Dabei kommen auch Namen von Tätern ans Licht, und es werden Akten gesichtet, die seit Ende des Kriegs unangetastet vor sich hin dümpelten. Aber immerhin gibt es sie noch.

"Tausende Akten sind vernichtet worden", erzählte Gerhard Baumgartner vom DÖW beim Symposium entsetzt, "10.000 in den letzten 15 Jahren. Es gilt sicherzustellen, dass damit ein für alle Mal Schluss ist." Auch BIK-Leiterin Barbara Stelzl-Marx betonte, dass es "etwas ganz Besonderes ist, dass das BMI uns jetzt die Möglichkeit gibt, ad fontes zu gehen. Zum Großteil sind das Quellenbestände, die noch nicht im Archiv, noch nicht erschlossen sind." Man gehe zusammen in die Keller von Landespolizeidirektionen, zuletzt in Graz und Innsbruck.

Anhand der Wiener Polizei beschrieb Mark Lewis, Professor an der City University of New York, in seinem Vortrag, wie der Apparat in Österreich ab März 1938 nach reichsdeutschem Vorbild rasend schnell umgebaut wurde. Wie das Wiener Kriminalbeamtenkorps der deutschen Kriminalpolizei einverleibt wurde, illegale Nazis, also Mitglieder der NSDAP in Österreich vor 1938, und ehemalige Putschisten vom Juli 1934 Karriere machten. "Mir fehlt immer der Hinweis, dass die illegale NSDAP eine Terrororganisation mit gleichzeitiger Polizeibeteiligung war", sagte Baumgartner beim Symposium, diese hätte hunderte Anschläge verübt, werde aber von vielen immer noch als "eine Volkstanzgruppe in weißen Sockerl" gesehen.

Otto Steinhäusl, der wegen seiner Beteiligung am Juliputsch im Gefängnis saß, wurde 1938 Polizeipräsident. Die größte Gestapo-Leitstelle des Deutschen Reichs war übrigens in Wien, wie Wolfgang Neugebauer von der Uni Wien erinnerte.

Die "weltanschauliche Schulung" für die Beamten hatte ab ’38 ein "beachtliches Themenspektrum", sagte Hans-Christian Harten von der Berliner Humboldt-Uni. An der Polizeischule wurde die NS-Ideologie durch damals moderne Unterrichtsmethoden vermittelt, mit Exkursionen, Schautafeln und Filmbesuchen.

Daniel Landau entwickelte Module für die Polizeischule.
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Schulung für den Genozid

Ein akademischer Kontext sollte die späteren Genozide "legitimieren". Polizisten formten Bataillone gegen Juden und Jüdinnen, Partisaninnen und Partisanen, sie organisierten Deportationen, Umsiedlungen und Massenerschießungen.

Aber es gab auch andere Polizisten in Österreich. "Warte nicht mit dem Abendessen auf mich", sagte Emanuel Stillfried-Rathenitz am 12. März 1938 zu seiner Frau, als die Gestapo ihn in seiner Wiener Wohnung abholte, erzählt Projektleiter Gerald Hesztera aus dem BMI. Stillfried-Rathenitz, ein Polizeibeamter, wurde nach Dachau gebracht.

Schon 30 Jahre lang beschäftigen Hesztera diese und andere Geschichten von denen, die sich keine Hakenkreuzbinde überstreiften. Wie Ludwig Bernegger und Josef Schmierl, die noch am 15. und 14. März 1938 von ehemaligen Kollegen in Linz erschossen wurden. Das Thema sei "sehr emotional" für ihn, sagt Hesztera. Als er als junger Offizier Akten zum Fall Stillfried-Rathenitz fand, habe er sich gefragt: "Wie konnte er solche Illusionen haben, dass er glaubte, er würde die Nazis überleben? Wäre ich auch in meiner Wohnung gesessen und hätte gewartet? Oder wäre ich der Gestapo-Beamte gewesen, der an die Tür klopft?"

1938 verloren immerhin 25 Prozent der mittleren Führungskräfte ihre Posten. Durch Entlassung, frühzeitige Pensionierung – oder sie wurden im KZ umgebracht. Zwölf Prozent waren aber bereits illegale Nazis, 18 Prozent "national eingestellt", 25 Prozent indifferent und rund 45 Prozent Systemanhänger oder eifrige Systemanhänger, recherchierte Hesztera.

Tatsächlich überlebte Stillfried-Rathenitz und wurde nach 1945 der erste Gendarmeriezentralkommandant. Doch Happy End gab es keines. Er wurde aufgrund einer Intrige, der Behauptung, er sei homosexuell, aus dem Amt gedrängt und starb als gebrochener Mann.

"Wir müssen unseren Kollegen beibringen, dass so etwas nicht wieder passieren kann", ist Hesztera überzeugt. Dass künftige Generationen der Polizei die Demokratie schützen und etwa Antisemitismus – wie zuletzt auch auf Querdenker-Demos – erkennen, daran arbeitet Daniel Landau. Der ehemalige Musik- und Mathematiklehrer und begnadete Vernetzer, der zuletzt das Lichtermeer "Yes We Care" initiierte, entwickelte mit dem Antisemitismusexperten Wolfgang Schmutz drei Module für Polizeischülerinnen und Polizeischüler, die nun in die Grundausbildung implementiert werden. Während Corona designten sie auch Online-Formate.

"Eine der wichtigsten Waffen gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, ob Antisemitismus oder muslimischer Rassismus, sind persönliche Begegnungen", weiß Landau, der selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden ist. Deswegen freue es ihn besonders, dass auch die Initiative Likrat der Israelitischen Kultusgemeinde in ein Modul einfließen wird. Im Rahmen von Likrat werden schon seit Jahren junge religiöse Juden und Jüdinnen ausgebildet, um in Schulen zu gehen. Nun gehen sie auch in Polizeischulen. "Die Polizei ist der einzige Berufsstand, der eine so massive Intervention in die Grundausbildung hineinnimmt", lobt Landau. (Colette M. Schmidt, 10.7.2022)