Sunaks Großeltern stammen aus dem Punjab, er selbst wurde in Southampton geboren.

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London – Mit Ex-Finanzminister Rishi Sunak hat sich das erste politische Schwergewicht im Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson in Stelung gebracht. "Jemand muss dem Augenblick gerecht werden und die richtigen Entscheidungen treffen. Deshalb will der nächste Chef der Konservativen und Premierminister werden", sagte Sunak in einem Bewerbungsvideo am Freitag. Mit seinem Rücktritt am Dienstag hatte Sunak entscheidend zum Sturz Johnsons beigetragen. Seine Kampagne startete er in den sozialen Medien unter dem Hashtag #Ready4Rishi.

Sunak hatte seinen Rücktritt unter anderem mit wirtschaftspolitischen Differenzen begründet. Sollte er gewählt werden, wäre der indischstämmige Politiker der erste nicht-weiße Premierminister in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Sunak wurde 1980 in Southampton geboren. Seine Großeltern stammen aus dem Punjab, seine Eltern arbeiteten als Mediziner und Apotheker in Großbritannien. Johnson hatte am Donnerstag seinen Rücktritt als Tory-Chef erklärt, will aber bis zur Wahl seines Nachfolgers Regierungschef bleiben. Das Parteikomittee, das für die Wahl des neuen Parteichefs oder der neuen Parteichefin zuständig ist, will bis 20. Juli den Kreis auf zwei Kandidatinnen oder Kandidaten reduzieren.

Weitere Bewerber bekunden Interesse

Vor Sunak hatten der Tory-Abgeordnete Tom Tugendhat und Generalstaatsanwältin Suella Braverman offiziell ihre Bewerbung für die Johnson-Nachfolge bekannt gegeben. Tugendhat, der Vorsitzende des einflussreichen Auswärtigen Ausschusses im Unterhaus, kündigte seine Bewerbung im "Daily Telegraph" an. "Ich habe schon gedient – in den Streitkräften und jetzt im Parlament", schrieb der 49-jährige ehemalige Armeeoffizier. Braverman brachte sich bereits am Mittwoch in Interviews für die Johnson-Nachfolge in Stellung. Die 42-jährige Brexit-Befürworterin ist in der Partei wegen ihrer Gegnerschaft zur EU beliebt.

Zuletzt kündigte die bisherige Gleichstellungs-Staatssekretärin Kemi Badenoch in einem Gastbeitrag für die Zeitung "The Times" (Samstag-Ausgabe) ihre Kandidatur an. Sie wolle den Menschen wieder die Wahrheit sagen, schrieb die 42-Jährige mit Verweis auf die vielen Skandale der Ära Johnson.

Auch der Brexit-Verfechter Steve Baker bekundete Interesse an einer Kandidatur. Erwartet wird unter anderem, dass sich der am Dienstag zurückgetretene Gesundheitsminister Sajid Javid und Verkehrsminister Grant Shapps um Johnsons Nachfolge bewerben. Hoch gehandelt werden auch Außenministerin Liz Truss sowie der frühere Außenminister Jeremy Hunt. Verteidigungsminister Ben Wallace gab am Samstag bekannt, nicht zur Verfügung zu stehen.

Keine Hochzeit auf staatlichem Landsitz

Johnson war am Freitag weiter unter Druck, rasch als Premier abzutreten. Die Opposition drohte mit einem Misstrauensvotum, um seinen sofortigen Rücktritt zu erzwingen. Das Land könne den "Lügner" Johnson nicht länger ertragen, so Labour-Vizechefin Angela Rayner.

Medienberichten zufolge will Johnson vor allem deshalb im Amt bleiben, weil er Ende Juli auf dem Landsitz der britischen Premierministerinnen und –minister in Chequers seine Hochzeit feiern will. Dem trat aber sein Umfeld am Freitag entgegen. Johnson habe seine Pläne für eine Hochzeitsfeier am Landsitz Chequers aufgegeben, hieß es.

Fast 60 Regierungsmitglieder kehrten Johnson den Rücken

Johnson und seine Regierung waren in den vergangenen Monaten durch eine ganze Reihe von Skandalen massiv in Bedrängnis geraten. Neben einer Spendenaffäre wogen Skandale um Partys am Regierungssitz während des Corona-Lockdowns sowie um sexuelle Übergriffe von hochrangigen Tory-Politikern besonders schwer. Seit Dienstagabend waren aus Protest gegen Johnson fast 60 Minister und andere Regierungsvertreter zurückgetreten.

Um Johnson vorher aus dem Amt zu jagen, droht die Labour-Partei mit einem Misstrauensvotum im Parlament. "Er ist ein erwiesener Lügner, der im Filz versunken ist, und das können wir uns nicht noch ein paar Monate leisten", sagte Vize-Parteichefin Rayner im BBC Radio. Es sei klar, dass Johnson das Vertrauen des Parlaments und der Bevölkerung verloren habe. Die Opposition wäre bei einem Misstrauensvotum allerdings auf die Unterstützung dutzender Tory-Abgeordneter angewiesen. Viele Tories fürchten aber, dass es dann letztlich Neuwahlen geben wird – und sie ihre Sitze verlieren.

Bildungsminister James Cleverly erklärte bereits, Johnson werde vorerst im Amt bleiben. "Es ist richtig, dass er ein Team zusammengestellt hat, das weiter regiert, während das Auswahlverfahren für seinen Nachfolger läuft", sagte er dem Sender Sky News. (APA, red, 9.7.2022)