Mit schlechten Gags versucht der Kanzler, die trübe Stimmung aufzulockern. Das hat gar nicht funktioniert. Karl Nehammer hat in seiner Wortwahl daneben gegriffen und Zweifel an seiner Kompetenz als Regierungschef genährt.

Foto: APA/EXPA/JFK

Karl Nehammer hat am Samstag eine bemerkenswerte Rede gehalten. Eine bemerkenswert missverständliche Rede, vielleicht war es auch eine dumme Entgleisung. Klang aber nicht so, das klang vorbereitet, das klang überlegt – und das überrascht umso mehr.

Nehammer hat keine Zote zu vorgerückter Stunde im engsten Freundeskreis zum Besten gegeben, er hat bei einem Parteitag (der Tiroler ÖVP) gesprochen, als Parteichef, als Bundeskanzler. Er sprach von den Herausforderungen, von der Inflation, den absurd hohen Energiekosten und möglichen Maßnahmen. Ein überaus ernstes Thema, das die Menschen im Land gerade schwer beschäftigt und viele auch ängstigt. "Das ist alles andere als einfach", hält der Kanzler fest, da kann man ihm noch folgen, auch wenn man lieber zuversichtlichere Worte gehört hätte. Dann sagt er: "Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher – Alkohol oder Psychopharmaka." Ein kleines Päuschen, um den Menschen Zeit für einen Lacher zu geben, dann setzt Nehammer fort: "Und ich sag, Alkohol ist grundsätzlich ok." Jetzt lachen doch ein paar bei diesem Parteitag in Tirol. Aber selbst dort war vielen die Überraschung und das Unverständnis ins Gesicht geschrieben.

Auch auf die Gefahr hin, hier als Spielverderber und Spaßbremse dazustehen: Was soll denn daran lustig sein? Und für wen? Als Kanzler sind solche Scherze über Alkohol und Psychopharmaka nicht angebracht, in keinem Zusammenhang, und erst recht nicht in diesem. Alkohol oder Psychopharmaka? Der Mann hat wohl keine Ahnung, was da dahinter stecken kann, was das eine anrichten, was das andere notwendig machen kann.

Abgesehen davon: Was meint er? Und wen? Wer sind wir und wer seid ihr? Wir, die Politiker, wir, die Regierung, wir, die ÖVP? Sind die Grünen inkludiert? Und ihr? Wiederum die ÖVP? Die Menschen im Land? Die sich das Heizen, den Strom, das Benzin und bald die Miete nicht mehr leisten können? Die werden sich den Alkohol dann auch nicht leisten können, die Psychopharmaka wird’s in diesem Fall nicht auf Rezept geben. Bei allem Verständnis für eine schnelle, auch schlecht sitzende Pointe, kann ja mal vorkommen: Als Kanzler darf und kann man so einen Unsinn nicht von sich geben. Bespricht der seine Reden nicht mit jemanden? Oder gibt es in seinem Umfeld tatsächlich Menschen, die ihn zu solchen Gags bei einer Parteitagsrede vor einer wichtigen Wahl – in dieser Situation – ermutigen? Lockern wir die Stimmung ein bisschen auf bei all diesem Krieg und dem betrüblichen Drumherum?

Eine solche Gedankenlosigkeit, eine solche intellektuelle Minderleistung und Zumutung zerstört nicht nur das Vertrauen in diese eine Person, den Kanzler, der gerade Karl Nehammer heißt. Das untergräbt ganz generell das Vertrauen in die Politik, in die Regierung, in diese Koalition. Will man von solchen Leuten regiert werden? Auf sie vertrauen und zählen müssen? Nähren solche Politiker die Hoffnung, sie könnten Schritte setzen, die uns verlässlich aus der Krise herausführen oder es zumindest nicht noch schlimmer machen? Der Zweifel an der Handlungsfähigkeit jener, die jetzt diese Regierung bilden, wächst, Tag für Tag. Da überlegt man sich doch … Nein, keine Witze bei diesem Thema. Die Lage ist ernst. Und da gebe es für die Wählerinnen und Wähler, für die Menschen in diesem Land tatsächlich ein paar Entscheidungen zu treffen. Alkohol und Psychopharmaka gehören definitiv nicht dazu. (Michael Völker, 10.7.2022)