Ein halbes Jahrzehnt nach dem Aufkommen des E-Scooter-Sharings hat die Branche ihre eigene Klimawende noch nicht geschafft.

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E-Scooter sind bis heute ein Reizthema. Insbesondere die freistehenden Leihgeräte stehen in Verruf, dank nachlässig parkenden Fahrern, enge Gehsteige zu blockieren und generell ein Verkehrshindernis zu sein. Eher weiter unten auf der Beliebtheitsskala sind auch jene Fahrerinnen und Fahrer, die aus Ignoranz oder mangels besseren Wissens auf Gehsteigen fahren.

Ungeachtet dessen haben sich die Roller wohl dauerhaft etabliert. In zahlreichen, auch kleineren Städten haben Leihanbieter ihre Flotten mittlerweile ausgebracht. Das sollte, wenn man ihren Versprechen glauben schenkt, zumindest einen Vorteil für die Umwelt bringen. Denn immerhin fahren die Nutzer elektrisch und somit emissionsfrei.

In der Praxis dürfte dies aber häufig nicht zutreffen, wie Untersuchungen immer wieder nahelegten. Für einige Aufmerksamkeit sorgten etwa Beobachtungen der Boston Consulting Group im Jahr 2019. Als eines der größten Probleme identifizierte man da, dass viele Leihroller schon nach drei Monaten im Einsatz schrottreif seien, was freilich nicht gut für die CO2-Bilanz ist.

Mittlerweile haben die Anbieter mit neuen, deutlich wuchtigeren Modellen nachgerüstet, die den Bedingungen des Shared Economy-Betriebs besser standhalten sollen. Heute sollen sie, je nach Hersteller, wenigstens 2 Jahre oder mindestens 10.000 bis 20.000 Fahrtkilometer überleben.

Mehr Aufwand als Einsparung

Doch auch nach wie vor sind die Leihroller kein positiver Beitrag zur Verkehrswende. Zu diesem Ergebnis kommt etwa eine Anfang diesen Jahres veröffentlichte Untersuchung der schweizerischen ETH Zürich, wie Wired berichtet. Im Schnitt erzeugt ein Leihroller pro Fahrtkilometer um 51 Gramm mehr CO2, als das Verkehrsmittel, das er dabei ersetzt, heißt es in der Studie. In die Berechnung hinein flossen der CO2-Aufwand für Herstellung, Aufladung, Transport und Wartung der Geräte.

Eine andere Untersuchung aus North Carolina im Jahr 2019 zeigte ein bis heute bestehendes Problem auf. Dort errechnete man einen CO2-Aufwand von 202 Gramm pro Meile über die gesamte Lebensdauer eines Leihscooters, womit dieser weit über privaten E-Mopeds (119 Gramm), E-Bikes (40 Gramm), konventionellen Fahrrädern (8 Gramm) und sogar Dieselbussen (82 Gramm) lagen.

Klar unterbieten konnte man freilich Leihautos, die auf 415 Gramm kamen. Jedoch ersetzte nur etwa jede dritte E-Scooter-Fahrt eine solche Autofahrt. Knapp die Hälfte hingegen wären sonst zu Fuß oder per Rad erledigt worden. In elf Prozent der Fälle wurde der E-Scooter anstelle eines Buses verwendet. Sieben Prozent der Fahrten hätten überhaupt gar nicht stattgefunden, wäre kein Roller bereit gestanden.

Bestätigt wurden diese Eindrücke ein Jahr später bei einer Erhebung in Paris. Dort sollen die Roller die städtische CO2-Bilanz um 13.000 metrische Tonnen – vergleichbar mit dem Output einer Kleinstadt – verschlimmert haben, da häufig eben keine Autofahrten ersetzt wurden.

Wende ist möglich

Aber es gibt auch Verbesserungsmöglichkeiten. Neben dem schon erwähnten Einsatz robusterer Scooter mit Wechselakkus kam eine Folgeuntersuchung in Paris zu dem Schluss, dass eine Elektrifizierung der Transportlogistik für die Roller nebst Routenoptimierung alleine bereits bis zu 55 Prozent der Emissionen einsparen könnte. Eingesammelt, aufgeladen und wieder ausgebracht werden die Scooter häufig von Freiberuflern – der Anbieter Lime nennt sie "Juicer" -, die dafür Fahrzeuge mit Verbrennermotoren verwenden.

Genaue Zahlen zu erhalten, ist schwer. Denn einerseits geben sich die Anbieter recht schmallippig, was Details zu Lebensdauer und Nutzung angeht. Und andererseits sind die Zahlen aus den Untersuchungen aufgrund der Schnelllebigkeit des Geschäfts schnell veraltet. Die Emissionsberechnung aus North Carolina wurde beispielsweise anhand des Scootermodells Xiaomi M365 vorgenommen. Dieser ist eigentlich ein Endverbraucher-Gerät und gar nicht auf Sharing ausgelegt, war aber Teil der ersten Generation der Leihflotte mehrerer Anbieter. Er wird schon seit Jahren nicht mehr eingesetzt.

Das Potenzial für "grünen" Betrieb, der also mehr CO2-Emissionen vermeidet, als er beiträgt, ist durchaus da. Ob es genutzt wird, hängt aber auch stark davon ab, wo Leihscooter angeboten werden, betonen die Schweizer Forscher. Häufig findet man sie in den Innenstädten europäischer Metropolen, wo es aber meist ein dichtes Öffinetz gibt. Dort ist es für Scooter kaum möglich, zum CO2-effizientesten Verkehrsmittel zu werden.

Gebraucht würden sie eher in Außenbezirken, wo die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel schlechter ist und mehr Wege mit Autos zurückgelegt werden. Dort ist die Ausbringung für die Anbieter aber ökonomisch weniger sinnvoll. Letztlich müssen Leihscooter aber dort hin, wo sie den Fahrtanteil von Autos mit Verbrennermotoren senken, um ihr Klimaversprechen einlösen zu können. (gpi, 10.7.22)