Am Ende zeigte Jelena Rybakina doch noch Emotionen.

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Da ist die Scheibe.

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London – Irgendwann brach es aus Jelena Rybakina heraus. Sie hätte schon beim Matchball vor Glück weinen können, oder als ihr die Herzogin von Cambridge die Wimbledon-Schale überreichte. Sie hätte bei ihrer Siegesrede auf dem heiligen Rasen ins Stocken geraten oder schluchzen können. Doch erst Stunden später bei der Frage nach ihren Eltern in der Heimat Moskau verlor Rybakina ihre bemerkenswerte Beherrschung.

"Ihr wolltet doch Emotionen sehen", sagte sie unter Tränen: "Ich habe sie zu lange zurückgehalten." So lange, bis ihr der Druck zu stark, die Bühne zu groß und die Fragen zu bohrend wurden. Beim 3:6, 6:2, 6:2 im Finale gegen Ons Jabeur konnte sie sich mit Aufschlag, Vorhand und Volley wehren, nach dem Match geriet sie in die Mühlen der Weltpolitik

Rybakina, geboren, aufgewachsen und ausgebildet in Moskau auf dem Thron, Jubel in Russland – das hatte sich der All England Club sicher anders vorgestellt. Der Ausschluss der Profis aus Russland und Belarus wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine sollte verhindern, dass Russland Erfolg zu Propagandazwecken ausschlachten kann.

"Wir haben Wimbledon gewonnen"

Und nun? "Gut gemacht, Rybakina! Wir haben Wimbledon gewonnen", sagte Russlands Tennischef Schamil Tarpischtschew der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti und nannte die Siegerin "unser Produkt".

Dabei startet Rybakina (23) seit vier Jahren für Kasachstan, spielte bei Olympia in Tokio unter der himmelblauen Flagge – und auch im Billie Jean King Cup im April gegen Deutschland. "Ich kann nichts dafür, wo ich geboren bin", sagte Rybakina. Sie könne "nur sagen, dass ich Kasachstan repräsentiere." Aber nicht, ob sie den Krieg und Wladimir Putins Vorgehen verurteile: "Sorry, mein Englisch ist nicht das Beste."

Ihr Tennis war es. Verdient – weil erstaunlich nervenstark – gewann Rybakina am Samstag gegen die Weltranglistenzweite. Jabeurs Traum vom Titel platzte, die Tunesierin verhedderte sich in den eigenen Möglichkeiten, verspielte sich, statt wie im ersten Satz konsequent dagegenzuhalten.

Inspiration Jabeur

Später saß die "Botschafterin des Glücks", wie sie in der Heimat genannt wird, traurig auf dem Podium, sie hätte den Menschen in der arabischen Welt, in ganz Afrika gerne den ersten Grand-Slam-Titel geschenkt – am ersten Tag des Opferfestes Eid al-Adha. "Vielleicht wollte ich es zu sehr", sagte Jabeur und versprach, nicht aufzugeben.

"Ich versuche, so viele Generationen zu inspirieren, wie ich kann", sagte sie. Ihre Tränen waren da bereits getrocknet. Jabeur hatte ihre Emotionen auf dem Centre Court ausgelebt. (sid, 10.7.2022)