Kommt ein Bundeskanzler nach Tirol: So fängt natürlich kein Witz an, sondern eine Tatsachenmitteilung. Denn Karl Nehammer sorgte beim ÖVP-Parteitag in Alpbach für Irritationen.

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Innsbruck/Wien – Vielleicht liegt es ja an den vielen Bergen, dass Politikern in Tirol Dinge leichter als anderswo über die Lippen kommen. Landes-SPÖ-Chef Georg Dornauer sagte Ende 2018 im Landtag über die krankheitsbedingt fehlende Grüne Gabriele Fischer: "Ich will mir die Landesrätin nicht in der Horizontalen vorstellen." Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler von der ÖVP nannte vor laufender Kamera eine WWF-Demonstrantin ein "widerwärtiges Luder". Und nun sorgt in den sozialen Medien ein Sager von Bundeskanzler Karl Nehammer beim Landesparteitag der Tiroler Schwarzen für Aufregung.

Bei seiner Rede bei der Veranstaltung in Alpbach sprach der Kanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann über die aktuellen wirtschaftlichen Probleme und darüber, welche Maßnahmen die Regierung dagegen treffe. "Das ist die Teuerung, das ist die Inflation, das ist das absurd hohe Level an Energiekosten. Und wir müssen die Maßnahmen so setzen, dass wir die Inflation nicht treiben, sondern versuchen, sie gemeinschaftlich in der Europäischen Union zu drücken", erklärte der Bundeskanzler. Dies sei "alles andere als einfach".

Nur zwei Optionen

Es sei notwendig, gegenzusteuern, andernfalls blieben laut Nehammer nur zwei Optionen: "Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher: Alkohol oder Psychopharmaka." Er setzte fort: "Und ich sag': Alkohol ist grundsätzlich okay." Schlussendlich ergänzte er einen Konsumtipp: "Das Entscheidende ist, dass man immer dann anstößt, wenn es einem gut geht."

Das in Social Media kursierende Video mit der Kanzleraussage brachte bald darauf die FPÖ auf die Palme. "Die flapsigen Bemerkungen von Bundeskanzler Karl Nehammer, wonach die aktuellen Herausforderungen entweder nur mit 'Alkohol oder Psychopharmaka' zu bewältigen sein werden, sind ein klassischer Offenbarungseid und spiegeln das völlige Versagen der Regierung auf der einen Seite und die totale Überforderung mit der Gesamtsituation auf der anderen Seite wider", kritisierte Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung. Nehammer habe einmal mehr unter Beweis gestellt, dass er als Regierungschef eine "Fehlbesetzung" sei und den Weg für Neuwahlen freimachen sollte.

SPÖ und FPÖ zürnen

Bei der SPÖ sah man das am Sonntag offenbar ebenso: "Ein ÖVP-Bundeskanzler, der Alkohol als Heilmittel anpreist und darüber hinaus Menschen verhöhnt, die psychische Probleme haben, ist fehl am Platz", erklärte der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Presseaussendung, in der er auch Nehammers "skandalöse Alkoholaussagen" kritisierte.

Das Büro des Bundeskanzlers erklärte auf Anfrage der "Kronen Zeitung", man habe Zuversicht vermitteln wollen – wenn man auch flapsig formuliert habe, wie eingeräumt wird. Die Angelegenheit ist allerdings pikant, da erst im März zwei Personenschützer der Spezialeinheit Cobra, die für die Sicherheit der Kanzlergattin sorgen sollten, bei einer Geburtstagsfeier mit dieser einige Alkoholika zu sich genommen haben. Einer der beiden verursachte anschließend beim Ausparken seines Dienstfahrzeugs betrunken einen Sachschaden.

Irritationen bereits im Mai

Dass Nehammers Humor nicht von allen geteilt wird, zeigte sich auch auf dem Bundesparteitag im Mai in Graz. "So viele in einem Raum heißt auch: so viele Viren – aber jetzt kümmert uns das nicht mehr", verkündete der Kanzler bei seinem Auftritt damals. Später entschuldigte er sich dafür, falls seine "überschwängliche Begrüßung" Menschen irritiert haben sollte.

Auf dem Tiroler ÖVP-Landesparteitag selbst beschwor die Partei zweieinhalb Monate vor der vorgezogenen Landtagswahl am 25. September den Befreiungsschlag: Spitzenkandidat und Wirtschaftslandesrat Anton Mattle wurde mit 98,9 Prozent der Delegiertenstimmen für fünf Jahre zum Landesparteiobmann gewählt. Damit ist die Parteichef-Ära des scheidenden Landeshauptmanns Günther Platter nach mehr als 13 Jahren beendet. Den größten Applaus erhielt Mattle für seine Ansage in der Tiroler Dauercausa Wolf: "Großraubtiere haben keinen Platz in Tirol." Um das zu gewährleisten, werde es künftig von Zeit zu Zeit auch einen "legistischen Grenzgang brauchen". Er hatte auch Abschiedsgeschenke für Platter dabei: Wasserkaraffe, Wassergläser – und Enzianschnaps.

"Liste Fritz" will keinesfalls mit ÖVP

Am Sonntag stellte die Spitzenkandidatin der oppositionellen Liste Fritz, Andrea Haselwanter-Schneider, klar, dass der Obmannwechsel wenig Auswirkungen habe. Man sei zwar bereit, nach der Wahl Regierungsverantwortung zu übernehmen, "aber nicht um jeden Preis" und nur ohne ÖVP. An Spekulationen, was mögliche Regierungskonstellationen in einem Dreier- oder Viererbündnis ohne die Schwarzen betrifft, wollte sie sich in einem Interview mit der Austria Presse Agentur nicht beteiligen. Einer Koalition unter FPÖ-Beteiligung erteilte sie keine Absage, verwies aber auf "rote Linien". (Michael Möseneder, 10.7.2022)