Soll die EZB hochverschuldete Euroländer wie Italien weiterhin mit Anleihenkäufen unterstützen? Darüber, ob und wie dies geschehen soll, gehen in der EZB die Meinungen auseinander.

Foto: imago images/Ralph Peters

Das angekündigte neue Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) reißt schon im Vorfeld alte Gräben innerhalb der Notenbank auf. Wenige Tage nachdem die Währungshüter für Juli die erste Zinserhöhung seit elf Jahren in Aussicht gestellt hatten, kündigten sie an, hochverschuldeten Euroländern wie Italien oder Griechenland unter die Arme zu greifen. Denn bereits die Erwartung steigender Zinsen im Euroraum hatte deren Anleihenrenditen nach oben schnellen lassen. Das bedeutet, sie müssen für die Aufnahme neuer Schulden künftig höhere Zinsen zahlen.

Die Notenbank will die Zinsunterschiede zum Musterschüler Deutschland aber nicht zu groß werden lassen und italienische und griechische Renditen mit gezielten Käufen von deren Schuldpapieren gegebenenfalls künstlich drücken. Wie genau dies erfolgen soll, blieb vorerst offen. Jedenfalls will die EZB einschreiten, sobald die Spreads, wie Renditeunterschiede im Fachjargon genannt werden, größer als fundamental gerechtfertigt sind.

Mehr Risiko, höhere Zinsen

Aber wann ist das der Fall? Über die Höhe der Zinsen entscheidet der Anleihenmarkt – je nachdem, wie die Investoren die Finanzlage eines Staates einschätzen. Konkret bedeutet das: Für eine zehnjährige Bundesanleihe Deutschlands, das mit 69 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet ist, werden derzeit etwa 1,3 Prozent Zinsen pro Jahr fällig. Von Italien, das mit 151 Prozent in der Kreide steht, wollen Investoren für das höhere Risiko auch mehr Zinsen, nämlich 3,3 Prozent.

Ist dieser Unterschied fundamental angemessen – und woran will die EZB erkennen, sollte dies nicht der Fall sein? Der Chef der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, mahnt Vorsicht ein. Man gerate schnell "in gefährliches Fahrwasser", da es sich in Echtzeit kaum feststellen lasse, was fundamental gerechtfertigt sei.

"Es ist fraglich, ob sich fundamental angemessene Renditeaufschläge einzelner Länder gegenüber Bundesanleihen überhaupt mit hinreichender Zuverlässigkeit berechnen lassen", sagte auch Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Er kritisiert zudem: "Eine solche Vollkaskoversicherung schafft nicht nur in Ländern wie Italien Anreize für einen großen Staat, was die Produktivität und das Wirtschaftswachstum senkt." Soll heißen: Es würde Bemühungen um Schuldenabbau den Wind aus den Segeln nehmen.

An Bedingungen knüpfen

Dessen ungeachtet plädiert EZB-Vizechef Luis de Guindos dafür, gegen ein unerwünschtes Auseinanderdriften der Renditen vorzugehen. Der deutsche Ökonom Lars Feld, der als neuer IHS-Chef im Gespräch war und nun Wirtschaftsberater des deutschen Finanzministers Christian Lindner ist, will die Stützung hochverschuldeter Länder an Bedingungen knüpfen. "Wer außer der Reihe Geld von der Zentralbank will, muss bereit sein, eine Gegenleistung zu bringen."

Mit der Debatte über das neue Instrument brechen laut ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski alte Konflikte auf, die schon unter Nagels Vorgängern als Verfechtern einer strafferen Geldpolitik für Kontroversen im EZB-Rat gesorgt hatten. Auch das Protokoll der Juni-Zinssitzung zeigt Uneinigkeit. Demnach plädierten einige Mitglieder bereits für Juli für einen größeren Zinsschritt als den angekündigten Viertelprozentpunkt. Zuvor gab es auch Differenzen über den Zeitpunkt der Zinsanhebung, den Verfechter einer lockeren Geldpolitik lieber erst im September gesetzt hätten. (Alexander Hahn, 11.7.2022)