Ukrainische Diplomatinnen und Diplomaten, egal wo sie gerade stationiert sind, können seit dem russischen Überfall auf ihr Land kaum einfach Business as usual machen. Die täglichen Meldungen über Tod und Zerstörung in der Heimat sind auch für sie schwer zu ertragen, die diplomatische Routine wird durchtränkt von der emotional getriebenen Anwaltschaft für das eigene Land. Verständlicherweise.
Andrij Melnyk, der scheidende ukrainische Botschafter in Berlin, hatte sich in dieser Rolle zuletzt aber immer mehr verheddert – bis das Verhalten des Top-Diplomaten irgendwann alles andere als diplomatisch war. Klar, allzu große Zurückhaltung gegenüber Moskau wurde der deutschen Führung auch von anderen öffentlich vorgeworfen. Aber Melnyk vergriff sich als Gast in Talkshows immer öfter im Ton, nannte Bundeskanzler Olaf Scholz gar eine "beleidigte Leberwurst".
Dass Melnyk jüngst den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera verbal verteidigte, der im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaboriert hatte und für den Tod tausender jüdischer und polnischer Zivilisten verantwortlich gemacht wird, schlug dem Fass der Diplomatie aber den Boden aus. Das russische Narrativ zu befeuern, dem zufolge in Kiew eine Nazi-Bande am Ruder sei, und damit gleichzeitig Polen und Israel auf die Palme zu bringen war ein Kunststück der Antidiplomatie. Die Abberufung durch Präsident Wolodymyr Selenskyj – nach ohnehin überlanger Amtszeit in Berlin – war da nur folgerichtig. (Gerald Schubert, 10.7.2022)