Hanson musste versuchen, eine Boeing 737-800 in drei Szenarien mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zu landen.

Foto: Youtube/Be Smarter

Es ist eine Geschichte, die man in verschiedenen, teils hochkarätigen Filmproduktionen findet. Es kommt zu Problemen auf einem Linienflug, infolge dessen die Pilotin oder das Pilotenteam nicht mehr in der Lage sind, ihren Flieger zu lenken. Ein heldenhafter Passagier, üblicherweise auch die Hauptfigur der Handlung, wagt sich ins Cockpit. Mit Unterstützung vom Boden oder manchmal auch ganz auf sich gestellt, gelingt schließlich die Landung. Die Passagiere und Crew sind gerettet.

Wer in die Welt des Fliegens eintauchen will, kann das mit Simulatoren wie Microsofts "Flight Simulator" oder der Open-Source-Software "FlightGear" ganz ohne Risiko tun. Verschiedene Einstellungsmöglichkeiten ermöglichen hier auch absoluten Anfängern, ihre Maschine sicher von A nach B zu fliegen.

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Doch wie stehen die Chancen in der Realität, wenn jemand ohne praktische Flugerfahrung sich plötzlich in der Situation befindet, ein Flugzeug sicher auf den Boden bringen zu müssen? Ganz unbekannt sind solche Fälle nicht. Erst im Mai etwa gelang einem Passagier in Florida dieses Kunststück, nachdem der Pilot seiner Maschine aufgrund eines medizinischen Problems unansprechbar geworden war. Er wurde von einer Bodenstation zum nächsten größeren Flughafen gelotst, wo er mit der Cessna 208 eine sanfte Landung hinlegte.

Dabei handelt es sich allerdings um ein Kleinflugzeug mit verhältnismäßig übersichtlicher Steuerung, wobei in der Einschulung dennoch allein 20 Übungsstunden für den Landevorgang vorgesehen sind.

Der Youtuber Joe Hanson, der den Kanal "Be Smart" betreibt, hat sich an einen Selbstversuch gewagt, um die Chancen für den Ernstfall auszuloten. Er verfügt über ein wenig Erfahrung mit üblichen Flugsimulatoren und schaut gerne Cockpit-Videos, bestieg zu diesem Zwecke aber einen professionellen Simulator, der nicht nur ein originalgetreues Innenleben, sondern auch einen Eindruck der Bewegungen des Fliegers vermittelt.

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Drei Herausforderungen

In drei Szenarien musste er dabei auf der Strecke Chicago–Boston mit einer Boeing 737-800, einem gängigen Linienflieger, den Anflug auf den Zielflughafen und die Landung bewältigen. Beim ersten Mal war seine Aufgabe, beides dem Autopiloten zu überlassen und den Bordcomputer entsprechend zu programmieren. Darüber hinaus oblagen ihm noch Tätigkeiten wie das Ausfahren von Fahrgestell und Bremsklappen unter Funkanleitung eines erfahrenen Piloten. Im Ernstfall würde eine Bodencrew in jedem Fall versuchen, jemanden zu organisieren, der mit dem konkreten Flugzeugmodell vertraut ist, um dem Laien am Steuer möglichst präzise Anweisungen geben zu können.

Hanson gelang es, die Boeing erfolgreich zum Airport zu manövrieren und zu landen. Obwohl der Bordcomputer einen großen Teil der Arbeit übernommen hatte, beschrieb er die Erfahrung als äußerst anstrengend. Szenario 2 beinhaltete einen Anflug mit Autopilot, aber eine manuelle Landung. Das Flugzeug händisch in einem sicheren Winkel und mit passender Geschwindigkeit aufsetzen zu lassen erwies sich als harter Brocken.

Letztlich sogar zu hart. Wenngleich es im Simulator nicht unmittelbar sichtbar war, wäre das Fahrgestell in seinem Versuch beim Aufsetzen zerstört worden. Als Resultat wäre das Flugzeug also nicht ausgerollt, sondern bis zum Stillstand über die Landebahn geschlittert, unter der hohen Gefahr eines Brandausbruchs.

Die dritte Aufgabe verlangte ihm den manuellen Anflug bei Schlechtwetter auf den Bostoner Flughafen rein mithilfe der instrumentalen Anzeige sowie als manuelle Landung und ohne Hilfestellung per Funk ab. Zum Airport und der Landebahn schaffte er es letztlich, doch sein Landeversuch wurde vom Simulator als Absturz bewertet.

Dunning-Kruger fliegt mit

Das Experiment verrät auch etwas über den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Ein Teil dieses Phänomens besteht daraus, dass Menschen mit einem Basislevel an Erfahrung mit einer gewissen Tätigkeit dazu neigen, ihr Können stark zu überschätzen. Das zeigt sich etwa darin, dass Piloten mit einigen hundert Flugstunden signifikant öfter schwerere Unfälle machen als jene mit geringer Flugpraxis oder deutlich mehr Erfahrung. Hanson zitiert auch eine im März veröffentlichte psychologische Untersuchung zum Thema.

In dieser wurde einer Gruppe an Laien ein Instruktionsvideo zum Landen eines Flugzeugs gezeigt. Über 40 Prozent gaben danach an, sich zuzutrauen, ein Flugzeug ohne tödlichen Unfall auf den Boden bringen zu können. In der Kontrollgruppe, die die Anleitung nicht gesehen hatte, fühlten sich dazu nur etwa ein Viertel imstande. (gpi, 11.7.22)