Außerirdisch klappt es noch! Sanft schwebt die russische Sojus-Raumkapsel an ihren Fallschirmen vom Himmel und landet in der Steppe Kasachstans. Dem Raumfahrzeug entsteigt der US-Astronaut Mark Vande Hei. Die Zusammenarbeit mit den russischen Kosmonauten auf der Internationalen Raumstation ISS sei hervorragend gewesen, heißt es. Das war Ende März, da war die russische "Spezialoperation" in der Ukraine bereits in vollem Gange.

Auf der Erde dagegen tiefste Krise. Das US-amerikanisch-russische Verhältnis ist frostig, fast nicht mehr vorhanden. Und auch zwischen den traditionell verbündeten Ländern Russland und Kasachstan gibt es Verstimmungen. Der Grund: Öl.

Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew (re., bei einer Konferenz mit Wladimir Putin, li.): Herr über viel Erdöl – und über Bodenschätze wie Uran.
Foto: Imago / Vladimir Smirnov

80 Prozent des in Kasachstan geförderten Rohöls aus dem gigantischen Tengis-Ölfeld werden über eine Pipeline in die südrussische Hafenstadt Noworossijsk gepumpt. Kasachstan selbst hat keinen Zugang zu den Weltmeeren. Öl aus Kasachstan ist auch für Österreich von enormer Bedeutung. Mit fast 40 Prozent war Kasachstan 2021 der wichtigste Lieferant. Zum Vergleich: Nur 7,8 Prozent der Importe stammten aus Russland. Im Zuge der politisch gewollten Loslösung von Russland soll in Zukunft noch mehr Öl aus Kasachstan gen Westen fließen.

Ein Geschäft, das Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew mit Freuden sieht. Sein Land und andere zentralasiatische Staaten könnten Gewinner im Streit zwischen Russland und dem Westen werden.

Bilaterale Probleme

Rhetorisch dient sich Präsident Tokajew dem Westen an. Als Russlands Präsident Wladimir Putin seine Gebietsansprüche geltend machte, verkündete Tokajew, sein Land würde niemals die Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk anerkennen. Und als Tokajew dann noch EU-Ratspräsident Charles Michel zusagte, mehr Öl zu liefern, erfolgte die wohl eher symbolische Retourkutsche: Ein russisches Gericht stoppte den Betrieb der Pipeline nach Noworossijsk. Angeblich fehlen Unterlagen für Umweltschutzanforderungen. Die Betreibergesellschaft Caspian Pipeline Consortium (CPC) sei "gezwungen, das Gerichtsurteil umzusetzen", werde aber dagegen klagen, so das Unternehmen. Am Montag teilte die CPC dann aber mit, ein höheres Gericht habe die Sperre in eine Geldstrafe umgewandelt.

Was das Ölgeschäft betrifft, will sich Kasachstan zunehmend unabhängig machen von Russland. Eine Pipeline durch das Kaspische Meer ist geplant – kasachisches Öl könnte dann via Aserbaidschan, selbst Ölproduzent, unter Umgehung Russlands in Richtung Westen gelangen. Aber das ist Zukunftsmusik.

Trotz des Streits: Politisch steht Kasachstan fest an der Seite Russlands. Wie alle zentralasiatischen Staaten – mit Ausnahme Afghanistans. Zur Befriedung der Unruhen im Machtkampf zwischen Anhängern des früheren kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und seinem Nachfolger Tokajew griff die "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" ein, eine von Moskau geführte Art "Gegen-Nato". Russland sandte Truppen, die nach dem Ende der Unruhen wieder abzogen. Tokajew blieb Präsident.

Große Möglichkeiten

Er glaube nicht, dass sich die Beziehungen zwischen Kasachstan und Russland drastisch verändern werden, sagt der russische Politologe Leonid Radsichowski. "Scharfe politische, geschweige denn territoriale Konflikte sehe ich nicht am Horizont." Dies gilt auch für die anderen Länder im zentralasiatischen Einflussbereich Russlands. Viele Experten sind der Auffassung, dass sich für deren Volkswirtschaften durch westliche Sanktionen neue Möglichkeiten auftun. "Es ist durchaus zu erwarten, dass Kasachstan zu einer Art Transitland wird, um Sanktionen für Lieferungen in die Russische Föderation zu umgehen", sagt der Wirtschaftsexperte Andrey Grozin in der "Nesawissimaja Gaseta".

Doch Kasachstan hat nicht nur Öl, sondern auch weitere wichtige Rohstoffe wie etwa Uran. Das Land hat die zweitgrößten Uranreserven der Erde und liefert heute 40 Prozent des weltweit benötigten Roh-Urans – begehrt im energiehungrigen Westen, wo über die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken nachgedacht wird. Die Zeitschrift The Diplomat schätzt: "Kasachstan hat das Potenzial, ein größerer Uranlieferant für Europa zu werden und so zur Energiesicherheit beizutragen und sich als ein zuverlässiger Handels- und Energiepartner zu zeigen."

Roh-Uran muss erst zu nuklearem Brennstoff angereichert werden, und eine geeignete Anlage gibt es in Kasachstan. In Öskemen wird Nuklearbrennstoff zunächst für den chinesischen Markt hergestellt. Das französische Unternehmen Framatome vergab dafür Technologielizenzen: ein erster Schritt in Richtung Zusammenarbeit. (Jo Angerer aus Moskau, 12.7.2022)