Polizeiabsperrung nach dem Schussattentat auf eine Bar in Soweto.

Foto: AFP / Ihsaan Haffejee

Ein ganz normales Wochenende, ohne Feiertag, kein Monatsende. Südafrikas Polizei gibt am Sonntag gleich drei bewaffnete Überfälle auf Kneipen bekannt: 21 Tote und 16 Verletzte. Vor allem das Massaker in einer einfachen Shebeen-Bar in Johannesburgs Township Soweto löst am Kap der Guten Hoffnung Entsetzen aus: In der Shebeen im Slum Nomzano Park tauchte in der Nacht auf Sonntag ein Kleinbus voller Gangster auf, die wahllos auf die Kneipenbesucher schossen. Bilanz: 15 Tote und acht Verletzte. Die Polizei zählte anderntags mehr als 130 Patronenhülsen.

Ein Überfall auf eine Kneipe in der Provinzhauptstadt Pietermaritzburg war wenige Stunden zuvor ganz ähnlich abgelaufen. Auch dort tauchten Gangster in einem Fahrzeug auf und schossen willkürlich in die Samukelisiwe-Taverne. Vier Personen starben, sechs weitere wurden verletzt. Und in einer Shebeen im 40 Kilometer von Johannesburg entfernten Township Katlehong wurden bereits am Freitag zwei Menschen erschossen.

Südafrika ist in Sachen Gewalt einiges gewohnt: Hier kommen Tag für Tag 23 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Dabei handelt es sich meist um Familienzwiste oder einen Streit zwischen – oft betrunkenen – Männern. Dass aber Kneipenbesucher wahllos und kaltblütig massakriert werden, sei selbst in der Verbrechenshochburg selten, meint Kriminologe Guy Lamb.

Verdacht auf Schutzgelderpressung

Noch sind die Motive der Mörder unbekannt: Keiner von ihnen wurde bislang gefasst. Am wahrscheinlichsten sei jedoch, dass es sich bei den Blutbädern um die Erpressung von Schutzgeldern handele, sagt Lamb. Gangs suchten auf diese Weise ihre Entschlossenheit unter Beweis zu stellen: Kneipenbesitzer, die ihnen kein Schutzgeld zahlen wollen, müssen mit den Konsequenzen leben – ihre unbeteiligten Kunden verlieren dabei sogar ihr Leben.

Dass die Schutzgelderpressung ausgerechnet jetzt in Mode kommt, bringt Kriminologe Lamb mit der abgeklungenen Covid-Pandemie in Verbindung. Wegen des Alkohol-Verkaufsverbots und der Ausgangssperre war das Kneipenleben in weiten Teilen des Landes zum Erliegen gekommen. Jetzt werden die Reviere neu abgesteckt.

Das ist vermutlich nur die halbe Wahrheit. Die jüngste Kriminalstatistik zeigt, dass die ohnehin schwindelerregende Zahl an Verbrechen nach einer kurzen Atempause während der Pandemie wieder sprunghaft ansteigt: In den ersten drei Monaten dieses Jahres lag die Mordrate um mehr als 22 Prozent über dem Vorjahr, die Zahl der Entführungen verdoppelte sich in diesem Zeitraum sogar von 1.700 auf 3.300. Gesellschaftsforscher wissen, wann mit einem Anstieg der Verbrechen zu rechnen ist: wann immer es der Bevölkerung wirtschaftlich schlechter geht.

Millionen Arbeitslose

Eine viel zu harsche Reaktion der Regierung auf die Corona-Pandemie hat Südafrika bereits vor zwei Jahren in eine Rezession gestürzt, mehr als drei Millionen Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Als das Virus seinen Schrecken verlor, kam Wladimir Putin: Infolge des Ukraine-Kriegs sind die Treibstoffpreise in jüngster Zeit um mehr als 30 Prozent in die Höhe geschnellt. Mit umgerechnet über 1,50 Euro ist Benzin am Kap derzeit so teuer wie noch nie.

Doch auch das ist noch nicht alles. Hinzu kommt, dass die katastrophale und korrupte Regierungsführung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) staatliche Institutionen wie Stadtverwaltungen, Sozialämter und die Polizei ausgehöhlt hat: Experten sprechen bereits von einem "scheiternden Staat". "Die Polizei tut nichts", sagt ein 42-jähriger Passant am Ort des Massakers in Soweto: "Und genauso wenig tut die Regierung. Sie kümmert sich nicht um die Bevölkerung, sondern ist nur mit dem Füllen der eigenen Taschen beschäftigt."

Derzeit richtet sich der Zorn vor allem auf Polizeiminister Bheki Cele, dem neben Korruptionsaffären auch amtliches Versagen vorgeworfen wird. Dass er noch immer auf seinem Stuhl sitzt, hat er dem Umstand zu verdanken, dass er als Gefolgsmann von Präsident Cyril Ramaphosa gilt, was unter den Zulu eher selten ist. Bei einem Besuch im Kapstädter Slum Gugulethu musste sich Cele in der vergangenen Woche die leidenschaftlich vorgetragene Kritik eines weißen Aktivisten anhören: Er warf dem Minister vor, sich nicht um die verarmte, vorwiegend schwarze Bevölkerung zu kümmern. Celes Reaktion: Er schrie den Aktivisten immer wieder an, "das Maul zu halten", und forderte die anwesenden Polizeibeamten schließlich auf, den Störenfried aus dem Saal zu werfen.

Teures Stromsparen

Schließlich wird die Stimmung am hoffnungslosen Kap auch noch von einer drastischen Rationierungswelle bei der Elektrizität getrübt: Täglich müssen Südafrikaner bis zu siebeneinhalb Stunden ohne Strom auskommen. Die Wirtschaft des Landes kostet diese Maßnahme rund 250 Millionen Euro pro Tag. Meinungsumfragen zufolge würde der seit 28 Jahren regierende ANC bei Wahlen erstmals seine absolute Mehrheit verlieren. Doch der nächste Urnengang steht erst in zwei Jahren an.

Von ANC-Präsident Cyril Ramaphosa ist in dem Schlamassel kaum etwas zu hören. Er versucht derzeit, einen Skandal um vier Millionen US-Dollar auszusitzen, die auf seiner Farm in einem Sofa versteckt waren. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 12.7.2022)