Als Defätist wird im Dudenjemand beschrieben, der "mut- und hoffnungslos ist und die eigene Sache für aussichtslos hält". Das war die Einstellung der Appeaser, der Beschwichtiger Hitlers sogar nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, bevor Winston Churchill im Mai 1940 zum Premier gewählt wurde. Er hatte einige Monate vorher gewarnt, der Appeaser sei jener, der ein Krokodil füttert, in der Hoffnung, dass es ihn als Letzten fressen werde.

Die Verbreitung der Angst vor kalten Wohnungen im Winter infolge der eingestellten Gaslieferungen durch Russland gehört zur kalkulierten Einschüchterungstaktik Wladimir Putins. Bereits jetzt hat der Diktator in den reichen neutralen Staaten, in der Schweiz und in Österreich, wichtige Stimmen zugunsten der moralischen Kapitulation zu verbuchen.

Die Verbreitung der Angst vor kalten Wohnungen im Winter infolge der eingestellten Gaslieferungen durch Russland gehört zur kalkulierten Einschüchterungstaktik.
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So behauptete Magdalena Martullo-Blocher, einflussreiche Politikerin der Schweizerischen Volkspartei und Unternehmerin mit einem geschätzten Vermögen von acht Milliarden US-Dollar, die Sanktionen würden Europa härter treffen als Russland. Sie warnte davor, "wegen des Ukraine-Konflikts einen Zusammenbruch der gesamten europäischen Wirtschaft und Zivilisation" in Kauf zu nehmen, und forderte Verhandlungen mit Putin, um einen Frieden zu erreichen.

In einem glänzenden Leitartikel warf der Chefredakteur der Neuen Zürcher, Eric Gujer, der Politikerin vor, sie folge der Devise des kommunistischen Dichters Bertolt Brecht: "Erst kommt das Fressen und dann die Moral!" Für die konservative Politikerin scheine es ein Naturgesetz zu sein, dass der Schwache vor dem Starken und Skrupellosen kuscht. Sie werfe sich vor dem Diktator in den Staub und die Linie ihrer Partei führe in die Kapitulation.

Zynische Empfehlung

Fast gleichzeitig meldete sich auch Österreichs Wirtschaftskammer-Präsident, der Multifunktionär Harald Mahrer, zu Wort. Zuletzt sorgte er, zusammen mit der früheren Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, mit dem Pannenprojekt "Kaufhaus Österreich", das heimischen Unternehmen in der Pandemie Geschäfte bringen sollte, für Häme und Aufmerksamkeit. Das gescheiterte Experiment kostete je nach Schätzung zwischen 946.068 und 1,2 Millionen Euro.

Nun hat er die Sanktionen gegen Russland öffentlich infrage gestellt: Er wisse nicht, ob die Sanktionen ein Fehler waren, aber er wisse auch nicht, ob die Entscheidung "fertig gedacht war". Nach der allgemeinen scharfen Zurückweisung seines "schändlichen Vorschlags" (Die Presse, 10. 7.) ruderte Mahrer zurück, um nun der EU und den USA, und den Politikern im Allgemeinen mit dem einzigen Hinweis auf eine Meldung des "renommierten" Spiegel das Denken "mit einer Gehirnhälfte" vorzuwerfen, weil diese angeblich seit November nur an Sanktionen, nicht aber an den Folgen, an der Sicherstellung der Energieversorgung gearbeitet hätten.

Die ebenso zynische wie sinnlose Empfehlung des frischgebackenen Außenpolitikers, "nicht nur auf die Ukraine zu schielen", bejubelt von der Putin-freundlichen FPÖ, schadet der ÖVP und trägt nur zur Verunsicherung bei. Erpresser sollte man nie bezahlen. Wenn man Putin nachgibt, wird er immer wieder mit Lügen und mit Gewalt neue Forderungen stellen. (Paul Lendvai, 11.7.2022)