Ein Pädagoge soll Schüler, die er selbst unterrichtet hatte, missbraucht haben. Der Zeitraum, in dem die Taten stattgefunden haben, könnte bis zu 15 Jahre betragen.

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Ein Pädagoge an einer Mittelschule im zweiten Bezirk soll über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren zahlreiche Schüler sexuell missbraucht haben. Laut den Ermittlungen der Landespolizeidirektion Wien gibt es 25 Opfer wegen sexuellen Missbrauchs sowie wegen Kinderpornografie. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Verbrechen zwischen elf und 14 Jahren alt.

Aufgekommen ist der Fall im April 2019: Nach einer Anzeige wegen eines Missbrauchsverdachts gab es bei dem Betroffenen eine Hausdurchsuchung, bei der Ermittler kinderpornografisches Material in großem Umfang sicherstellen konnten. Kurz vor der geplanten Einvernahme beging der Pädagoge Suizid. Die Staatsanwaltschaft Wien stellte daraufhin die Ermittlungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen sowie Herstellung und Besitz von kinderpornografischem Material ein.

Öffentlich bekannt wurden die Vorfälle zunächst nicht. Diesen Umstand monierte eine Person, die sich im Jahr 2020 bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) Wien meldete und sich über die Kommunikationspolitik der Schule beschwerte. Die KJA thematisierte die Causa erstmals – ohne Details zu nennen – in ihrem Jahresbericht 2020. Medial bekannt wurde der Fall nach einer STANDARD-Recherche Ende Mai 2022.

Kritik an Systemversagen

Noch gibt es aber offene Fragen rund um den irritierenden Missbrauchskomplex. "Wie konnte ein Pädagoge über einen so langen Zeitraum Schüler:innen in diesem Ausmaß unentdeckt sexuell missbrauchen und pornografisches Material auf seinem PC horten?", fragte etwa die KJA in ihrem Jahresbericht. Die KJA kritisierte ein vollständiges Systemversagen des Bereichs Schule – "trotz regelmäßiger Qualitätskontrollen der Schulleitung".

Im Jahr 2020 wurde von der Ombudsstelle sowie der Bildungsdirektion eine Untersuchungskommission eingerichtet – um Details des Falls aufzuarbeiten, Versäumnisse aufzuzeigen und Verbesserungen abzuleiten. Ein erster Bericht liegt aber noch nicht vor. "Im Herbst wird ein Zwischenbericht fertig sein", sagte eine Sprecherin der Bildungsdirektion dem STANDARD. "Ob dies auch der Endbericht sein wird, hängt davon ab, ob sich noch weitere Fragen auftun." Die Sprecherin verwies etwa darauf, dass es nach neuen Elternmeldungen an die Kinder- und Jugendanwaltschaft "noch offene Fragen gibt". Laut KJA könnte es auch mehr als die von der Polizei genannten 25 Opfer geben.

Information an Eltern Mitte Dezember 2019

Untersucht wird zudem, ob Eltern von der Schule zu lange im Unklaren gelassen wurden. So hatten mehrere Eltern Vorwürfe der Vertuschung vorgebracht – was Bildungsdirektor Heinrich Himmer bereits dementierte.

Laut Polizei wurde die Schule Mitte Mai 2019 von Ermittlungen gegen eine Lehrkraft informiert. Vom konkreten Missbrauchsverdacht gegen den Mann habe die Schule laut der Leitung aber erst im Oktober 2019 durch die Polizei erfahren. Unmittelbar darauf, am 10. Oktober 2019, kontaktierte der Schulleiter die Bildungsdirektion. Erst zwei Monate später, am 12. Dezember 2019, erfolgte die Information der Eltern an der Schule im Rahmen eines kurzfristig anberaumten Elternabends. Dass die Eltern so spät informiert wurden, verteidigte Himmer mit dem Hinweis, dass die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst noch um Zurückhaltung gebeten hatte.

Pädagoge war auch in Sportvereinen tätig

Beim Elternabend sei den Eltern auf Nachfrage erzählt worden, dass der Pädagoge Nachhilfe angeboten und Kinder mit zu sich nach Hause genommen hatte, wo er ihnen auch K.-o.-Tropfen verabreicht haben soll. Laut Bildungsdirektion soll der Mann ein "ausgesprochen beliebter Kollege" gewesen sein. Er war auch in teils führender Funktion in Wiener Sportvereinen aktiv.

Die Bildungsdirektion verwies darauf, dass sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle an der Schule eine Krisenbetreuung eingerichtet wurde. Der Verein Selbstlaut – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen wurde eingebunden. Die Stunden des Beratungslehrers wurden aufgestockt, um Schülerinnen und Schülern "einen besonders niederschwelligen Zugang zu professioneller Unterstützung zu ermöglichen".

Kinderschutzkonzept in jeder Wiener Schule

Abseits dieser Maßnahme muss ab dem kommenden Schuljahr jede Wiener Schule verpflichtend ein Kinderschutzkonzept einführen. Präventionskonzepte gegen sexuelle Übergriffe und Missbrauch werden damit an allen Schulstandorten neu aufgesetzt. Zudem wird es ab Herbst einen neuen Krisen- und Notfallerlass der Bildungsdirektion geben. Damit sollen Abläufe in Krisenfällen zeitlich gestrafft und der Informationsfluss beschleunigt werden. (David Krutzler, 12.7.2022)