Markus Braun sitzt derzeit im Untersuchungshaft, im Herbst wird der Prozess gegen ihn beginnen – es gilt die Unschuldsvermutung.

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Wirecard ist wohl der Fall seines Lebens: Jahrelang ahnte der Wirtschaftsjournalist Dan McCrum, dass beim Geschäftsmodell des rasant wachsenden deutschen Zahlungsdienstleiters etwas nicht koscher war. Whistleblower belieferten ihn 2019 mit Dokumenten, 2020 krachte das Unternehmen dann. Der Schock war nicht nur in Deutschland groß: Auch in Österreich waren Wirecard-CEO Markus Braun und sein Vorstandskollege Jan Marsalek bestens vernetzt, immerhin waren beide ja gebürtige Wiener. Während Braun bei Neos und ÖVP anklopfte, war Marsalek eher bei der FPÖ unterwegs.

STANDARD: Markus Braun und Jan Marsalek bewegten sich in höchsten politischen Zirkeln. Wie haben sie das geschafft?

Dan McCrum: Sie haben vermutlich einen besseren Einblick in die österreichische Politik. Aber überall gilt: Geld verführt. Und die beiden waren wirklich gut darin, so zu tun, als hätten sie sehr viel davon.

STANDARD: Markus Braun schaffte es ja sogar in den Thinktank des Bundeskanzleramts.

McCrum: Er wurde als technologischer Visionär angesehen, sprach – soweit ich das beurteilen kann – aber eigentlich immer Unsinn.

STANDARD: Wenn man heute mit einstigen Wirecard-Fans spricht, heißt es immer, damals sei Wirecard ja ein hochangesehenes Unternehmen gewesen. Ab wann hätte man zweifeln müssen?

McCrum: Vielleicht hätten diese Menschen die "Financial Times" lesen sollen. Wir haben schon im Jänner 2019 angefangen, kritisch über Wirecard zu berichten. Schon davor gab es immer wieder Hinweise, etwa den Zatarra-Bericht, der allerdings anonym verfasst worden war. Aber spätestens wenn eine der renommiertesten Zeitungen der Welt kritische Fragen stellt, sollte man dem Aufmerksamkeit schenken.

STANDARD: Wenn man Ihr Buch liest, wirkt es, als wären Sie süchtig danach gewesen, das Rätsel Wirecard zu lösen. Wie oft hätten Sie fast aufgegeben?

McCrum: Ich hatte im Jahr 2017 tatsächlich aufgegeben, weil ich über alles berichtet hatte, über was ich ohne Einblicke in Wirecard-Interna schreiben konnte. Meine Karriere lief damals nicht besonders gut, ich musste mich auf andere Dinge konzentrieren.

STANDARD: Im Jahr 2019 kamen Sie durch Whistleblower zu neuen Informationen – und plötzlich wurde der Druck auf Sie enorm. Wie haben Sie das ausgehalten?

McCrum: Anfangs habe ich versucht, das alles wegzulachen; vor allem die Angriffe auf Twitter, das man ohnehin nie ernst nehmen sollte. Aber dann begannen die deutschen Behörden, gegen mich zu ermitteln, und auch die "Financial Times" führte eine interne Untersuchung durch. Das war enorm nervenaufreibend – aber mein Ausgleich dafür war, noch mehr Arbeit in meine Recherchen zu stecken.

STANDARD: Fühlten Sie sich in Gefahr?

McCrum: Am Bahnsteig hielt ich Abstand zu den Gleisen. Ich änderte die Route, wie ich mit dem Rad nach Hause fuhr. Wir waren paranoid, und es war klar, dass wir überwacht wurden.

Dan McCrum hat seine Recherchen zu Wirecard in seinem Buch "House of Wirecard" zusammengefasst.
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STANDARD: Wie fühlten Sie sich, als Ihre Kollegen plötzlich herausfanden, dass Marsalek enge Verbindungen nach Russland hatte?

McCrum: Das war unfassbar, und es war auch angsteinflößend. Gleichzeitig dachten wir, wir könnten das nie auf den Boden bringen und tatsächlich darüber berichten.

STANDARD: Ergab diese Spionage-Achse für Sie Sinn, oder war das nur eine weitere bizarre Episode im Leben des Jan Marsalek?

McCrum: Man kann es nicht ignorieren. Wie ich es mir erkläre: Marsalek war ein unglaublich charmanter junger Mann, der lernte, dass er mit kleinen Verbrechen davonkommen kann. Und dann wurden diese Verbrechen immer größer.

STANDARD: War Marsalek ein russischer Spion?

McCrum: Das kann ich nicht beurteilen. Er hatte jedenfalls eine Art James-Bond-Komplex. Für die Sicherheitsdienste wäre es sicher von Vorteil, einen Informanten zu haben, der Einblick in Zahlungsbewegungen und Kreditkarteninformationen hat. Es gibt eine Synergie zwischen Geldwäsche und Geheimdiensten.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Ex-Verfassungsschützer Martin Weiss für Marsalek?

McCrum: Er war eine Art Handlanger. Marsalek hatte ein paar von diesen Typen in seinem Umfeld. Es gab eine Detektei in Wien, einen russischen Söldner und so weiter.

STANDARD: Woher rührte Marsaleks Interesse für den Verfassungsschutz?

McCrum: Ich kann mir vorstellen, wie das passiert ist. Marsalek war einer jener Menschen, die eine Idee haben und sich dann darin verlieren. Man sieht das auch an seinem Libyen-Projekt, wo sich russischer Einfluss und europäische Politik trafen.

STANDARD: Marsalek erwarb dort Anteile an Zementfabriken, beauftragte russische Söldner mit deren Schutz und wollte eine Miliz aufbauen.

McCrum: Es ist bei Marsalek immer schwierig, zu sagen, wie ernsthaft er solche Projekte verfolgt hat. Einerseits hat er die Wagner-Gruppe, also russische Söldner, engagiert, um die Zementfabriken von Minen zu säubern – bis heute ist unklar, ob dort je welche waren. Andererseits zeigen Recherchen des Journalistennetzwerks OCCPR, dass wohl doch keine Libyer ausgebildet worden sind. Es ist ein Rätsel.

STANDARD: Auch im Umfeld von Wirecard tummelten sich Österreicher, etwa Alexander Schütz, mit dem Sebastian Kurz gerade ein Unternehmen gegründet hat. Was war Schütz’ Rolle?

McCrum: Schütz war ein guter Freund von Markus Braun und sehr wichtig, weil er im Aufsichtsrat der Deutschen Bank war. Er war ein "Enabler", also jemand, der Braun und Wirecard Möglichkeiten verschafft hat. Ich denke, er symbolisiert Teile der Wiener High Society, die Braun vertraut haben und sich jetzt dafür genieren.

STANDARD: Immer wieder schaffen es Unternehmen, gerade im IT-Bereich, die Fachwelt und Anleger zu täuschen. Wie sehr ist Wirecard ein Einzelfall, wie sehr ein Symptom?

McCrum: Ich glaube, der Fall Wirecard macht einige Entwicklungen in unserer Gesellschaft sichtbar. Etwa: Wenn man kleine Vergehen nicht bestraft, wachsen sich diese zu großen Verbrechen aus. Er zeigt aber auch den Wahnsinn, mit dem dieses Geschäftsfeld infiziert worden war – als das Geld einfach nur so floss. Jedes Unternehmen konnte behaupten, es werde mit neuartiger Technologie die Welt erobern. Da draußen gibt es noch genug ähnliche Betrüger.

STANDARD: Haben Sie schon ein "neues Wirecard" im Visier?

McCrum: Es gibt jedenfalls spannende Fährten, über die ich klarerweise noch nicht reden kann. Ich befürchte aber, ich werde in nächster Zeit genug zu tun haben. (Fabian Schmid, 13.7.2022)