Die Konservativen unterhalten Großbritannien mit einem besonderen Spektakel: 358 Tory-Abgeordnete entscheiden ab Mittwoch darüber, welche Mitglieder ihrer Fraktion zur Nachfolge von Premier Boris Johnson geeignet sind. Die auf den eigenen Vorteil bedachte Wählerschaft wird aktuell von sieben Männern und vier Frauen umworben – dazu gehören Kabinettsmitglieder wie Finanzchef Nadhim Zahawi und dessen zwei Vorgänger, allesamt Millionäre. Sechs gehören ethnischen Minderheiten an.

Nominierungen sind bis heute, Dienstag, Abend möglich. Zentral in der Debatte: Die Wirtschaftslage. Da sei, spottet Labour-Oppositionschef Keir Starmer, "ein Wettrüsten der abstrusesten Vorschläge" im Gang. Spätestens Mittwoch wird sich das Feld lichten, in zehn Tagen soll das Duo feststehen, das sich 200.000 Parteimitgliedern zur Stichwahl stellt. Ein Ergebnis soll es am 5. September geben.

Penny Mordaunt

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Auf ihre Verbindung zum Militär baut Kurzzeit-Verteidigungsministerin und Navy-Reservistin Penny Mordaunt. Ihren Rausschmiss aus dem Kabinett durch Boris Johnson nahm sie klaglos hin, diente geräuschlos als Handelsstaatsekretärin und sammelte Anhänger in der Fraktion. In Zukunft müsse das Staatswohl im Vordergrund stehen, weniger die Bedürfnisse des Premiers, fordert die 49-Jährige nun – positioniert sich also als Verfechterin größerer persönlicher Integrität. Ihr Bewerbungsvideo musste massiv umgeschnitten werden, weil darin enthaltene Prominente gegen ihre unerlaubte Vereinnahmung durch die Abgeordnete der Hafenstadt Portsmouth protestierten. Zur Entlastung der Briten will sie die Mehrwertsteuer auf Öl und Gas um die Hälfte senken.

Tom Tugendhat

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Für den Oberstleutnant der Reserve Tom Tugendhat spricht seine internationale Erfahrung und seine klare Position gegen Boris Johnsons Chaosregime. Gegen den Chef des auswärtigen Ausschusses spricht die fehlende Kabinettserfahrung – vor allem aber seine Position im linken Zentrum einer stark nach rechts gerückten Partei. Zudem ist der Katholik mit jüdisch-österreichischen Wurzeln, dessen Onkel einst Vizepräsident der EWG-Kommission war, den Brexiteers ein Dorn im Auge. Der 49-jährige Exsoldat hat schon seit Monaten seine Bewerbung vorangetrieben und kann auf loyale Unterstützer bauen. Um die zahlreichen Kräfte bei den Partei-Rechten zu überzeugen, befürwortet auch Tugendhat Steuersenkungen, darunter eine Reduzierung der Mineralölsteuer.

Liz Truss

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Zu jenen, die Steuersenkungen begeistert gegenüberstehen, zählt Außenministerin Liz Truss. Am Kabinettstisch trug sie eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge sowie schrittweise Anstiege der Unternehmenssteuer auf 25 Prozent mit. Davon will die hochehrgeizige 46-Jährige nichts mehr wissen: "Steuererhöhungen sind zum jetzigen Zeitpunkt falsch." Wen die dann nötigen Kürzungen staatlicher Leistungen treffen sollen, lässt die einstige Liberaldemokratin offen. 2016 wollte sie noch den EU-Verbleib, seither profiliert sich Truss als begeisterte Brexit-Hardlinerin. Früh hat sie sich als würdige Nachfolgerin der Tory-Legende Margaret Thatcher (1997–1990) positioniert. Gefahr könnte Truss von Rechtsaußen erwachsen, sollte Innenministerin Priti Patel doch noch antreten.

Rishi Sunak

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Dass Rishi Sunak zu Wochenbeginn der Favorit war, bewiesen die Angriffe vieler seiner Gegner auf den Sohn indischer Einwanderer, dessen Rücktritt als Finanzminister am Dienstag Boris Johnsons Abgang mitauslöste. Der unverhofft vor zweieinhalb Jahren im zarten Alter von 39 Jahren ins wichtige Amt Gekommene hat seinen Ruf durch rasche Hilfe für Arbeitnehmer und Selbstständige in der Corona-Pandemie gefestigt. Gefährlich werden könnten dem Ex-Banker die engen Verbindungen seines schwerreichen Schwiegervaters zur indischen Regierung von Narendra Modi, ungeklärte Fragen zum eigenen Steuergebaren sowie seiner US-Green-Card. Forderungen nach raschen Steuersenkungen begegnet Sunak mit Warnungen: "Die Leute sollten nicht an Märchen glauben." (Sebastian Borger aus London, 12.7.2022)