
Die Preise steigen – muss der Staat aggressiver einschreiten?
Die genauen Zahlen kennt noch keiner, aber die Regierung rechnet damit, dass der Strompreisdeckel, der seit Mitte Juni greift, die Energiekosten für rund die Hälfte der Haushalte senken wird. Zunächst hieß es, die Menschen würden um 40 Prozent weniger bezahlen als bisher. Inzwischen ist nur mehr von 15 bis 20 Prozent die Rede, aber das ist ja nicht nichts. Der Preisdeckel soll nicht nur Haushalte entlasten, sondern auch die Inflation bremsen: Die Teuerungsrate hat viele Monate angezogen, die Inflation liegt nun bei zehn Prozent.
All das kommt Ihnen nicht bekannt vor? Kein Wunder. Die Geschichte spielt nicht in Österreich, sondern in Spanien. Das EU-Land hat gemeinsam mit Portugal vor knapp einen Monat einen Strompreisdeckel eingezogen.
Genauer gesagt wird der Gaspreis bei der Stromproduktion auf der Iberischen Halbinsel bis Ende Mai 2023 behördlich administriert. Für Stromerzeuger, die mit Gas arbeiten, legt die Regierung fest, welchen Preis sie bei ihrer Kostenkalkulation für die Stromproduktion mit Gas einsetzen dürfen. Der Preis ist pro Megawattstunde mit 48,8 Euro fixiert. Durch die Festlegung sinken die Produktionskosten der Stromerzeuger: Denn der Staat schießt die Differenz zwischen den 48,8 Euro und dem tatsächlichen Marktpreis für Gas, zu dem die Erzeuger kaufen, laufend an die Unternehmen zu. Am Markt kostet Gas derzeit weit mehr als 100 Euro. Die Folge: Strom für Endkunden, ob Haushalte oder Unternehmen, sollte durch den Preisdeckel billiger werden.
Die Vorgehensweise Spaniens und Portugals, einen Deckel einzusetzen, findet in Österreich angesichts der sich zuspitzenden Energiekrise immer mehr Anhänger. Während Ökonomen schon länger über Für und Wider der Vorschläge beraten, kocht die Debatte nun in der Kanzlerpartei ÖVP hoch.
Gleich drei Landeschefs, Johanna Mikl-Leitner (NÖ), der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler und sein oberösterreichischer Amts- und Parteikollege, Thomas Stelzer, fordern mehr oder weniger direkt, einen Deckel einzuziehen. "Mit Experten sollte über einen Preisdeckel nachgedacht werden", erklärte Stelzer. Für ihn sei klar, dass es weitere Unterstützungen und Hilfen brauche. Bemerkenswert sind die Forderungen, da Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) bisher eine Preisobergrenze abgelehnt hat, ob nun bei Strom oder Sprit. "Viele Staaten haben sich dazu entschlossen, Preisdeckel in der Teuerungswelle einzusetzen. Bisher hat sich das nicht als probates Mittel erwiesen", sagte Nehammer erst am Freitag im Nationalrat. Montag von der "ZiB1" befragt, sah er "keinen Widerspruch innerhalb der Volkspartei", blieb aber dabei, dass er höchstens eine internationale Lösung wolle."
Auch E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch sprach sich in der "ZiB2" am Montagabend für eine europäische Lösung aus.
Aber wie könnte ein Deckel konkret in Österreich funktionieren? Lässt sich sagen, wer dabei die Gewinner und die Verlierer wären?
Tatsächlich liegen mehrere Optionen auf dem Tisch, von sehr weitgehenden Eingriffen bis zu weniger großen: Hinter dem Begriff des Preisdeckels verbergen sich verschiedene Modelle.
Preisobergrenze nur für Haushalte
In der Schmalspurvariante ist ein Deckel nichts weiter als ein Zuschuss an Haushalte, eine Art Sozialleistung über Umwege, wie Walter Boltz, der frühere Leiter der Regulierungsbehörde E-Control, sagt.
Der Staat würde Energielieferanten vorschreiben, zu welchem Preis sie Strom und bei Bedarf auch Gas an ihre Kunden abgeben können. Den Unterschied zu Marktpreisen würde der Staat an die Energieversorger bezahlen. Je nachdem, wie ausgefeilt ein solches System ist, lässt es sich auch sozial mehr oder weniger treffsicher gestalten. So könnte bloß ein Grundverbrauch subventioniert werden – wer mehr Energie bezieht, müsste dafür den vollen Preis bezahlen.
Ungarn nutzt bereits einen Preisdeckel für Haushalte, auch Frankreich, das auch die Gaspreise deckelt. Dabei werden die Kosten umverteilt, sie verschwinden nicht: Der Staat zahlt die Rechnung für die Haushalte. Vorteil eines solchen Modells ist laut Boltz und anderen Experten, dass es sich rasch umsetzen ließe, auch im Alleingang in Österreich. Teuer ist die Maßnahme natürlich. Ein Nachteil: Der Anreiz zum Energiesparen sinkt bei den Haushalten, Unternehmen haben nichts davon.
Ein Preisdeckel für Stromerzeuger
In einer breiteren Variante würde der Staat nicht bei Haushalten ansetzen, sondern bei der Stromerzeugung – wie im spanischen Modell. Der Vorteil ist, dass hier eine große Hebelwirkung erreicht werden kann, wie der frühere Verbund-Vorstand und Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) sagt. Strom wird wie andere Produkte auch über den Markt gehandelt. Dabei gibt es den gleichen Preis, der für die Unternehmen mit hohen Produktionskosten ebenso gilt wie für jene mit niedrigen. Wegen der hohen Gaspreise sind die Kosten für Stromerzeugung mit diesem Rohstoff gestiegen. Von dieser Marktbewegung profitieren aber alle Erzeuger, auch jene, die Strom aus Wind oder Wasserkraft gewinnen. Das heißt aber auch: Durch die Deckelung der Gaspreise im Strommarkt würden alle Erzeuger ihre Preise wohl senken müssen.
Die Vorteile der Idee: Energie würde im Idealfall wieder billiger werden, und zwar neben Haushalten auch für Unternehmen. Die Windfall-Profits der Stromerzeuger wären eingefangen. Ein Nachteil: Die Preissignale wären weg, fürchten Ökonomen wie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr – die Stromerzeuger und Konsumenten hätten weniger Grund, Energie zu sparen. Wenn kein oder kaum mehr Gas käme, würde sich das rächen.
Ein Streit herrscht, ob ein solches Modell in Österreich allein oder nur gemeinsam mit den Nachbarländern umsetzbar wäre. Felbermayr zweifelt an einem Alleingang Österreichs: Er argumentiert, der billige Strom, der in Österreich subventioniert wäre, würde dann nach Bayern oder Italien abfließen. Kunden würden dort den Billigstrom aus Österreich auf Kosten der heimischen Steuerzahler kaufen.
Für Spanien und Portugal stellt sich dieses Problem nicht, denn der Strommarkt beider Länder ist im Gegensatz zu Österreichs Markt relativ abgeschottet. Die EU-Kommission hat Spanien sogar vorgeschrieben, dass das Land den Export von Energie nicht kappen darf. Aber Spanien kann laut Ex-E-Control-Chef Boltz bloß fünf bis sechs Prozent der im Land erzeugten Strommenge exportieren, für mehr gibt es keine Kapazitäten.
Ex-Verbund-Mann Kern sieht dieses europäische Problem nicht: Er rechnet damit, dass die Nachbarländer ohnehin nachziehen würden, wenn Österreich einen Gaspreisdeckel einzieht. Und er sagt auch, dass kein heimisches Unternehmen subventionierten Strom an Börse anbieten müsste für ausländische Kunden. Eine Absprache mit den Stromerzeugern wäre dafür nötig. Die Maßnahme ist jedenfalls teuer, Spanien zahlt aus heutiger Sicht 6,3 Milliarden für den Deckel.
Ein Preisdeckel für Strom und Gas
Der Vorteil jedes Preisdeckels ist, dass er Preise direkt dämpft und so auf die Inflation wirkt. Wenn schon Preise deckeln, warum nur für Strom? Haushalte trifft aktuell der Gaspreisanstieg viel stärker, Gas hat sich um 72 Prozent verteuert seit dem Vorjahr, bei Strom sind die Kosten für Haushalte aktuell unverändert, der Staat hat die Energieabgabe gesenkt. Ein Preisdeckel für Strom/Gas wäre der teuerste und größte Eingriff. Vom in Jahrzehnten aufgebauten europäischen Markt bliebe wenig übrig, der Effekt auf die Preise wäre hier freilich am größten. (András Szigetvari, 11.7.2022)