SS-Männer stürmten am 25. Juli 1934 das Funkhaus der ersten österreichischen Rundfunkgesellschaft Ravag, sie wurden jedoch rasch von der Polizei niedergekämpft.

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Beflügelt durch Adolf Hitlers Sieg bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 und dessen Aufstieg zur Macht in Deutschland, entfachten die österreichischen Nationalsozialisten zwischen 1933 und Juli 1934 eine bis dahin nicht gekannte Terrorwelle. Sie brachten Züge zum Entgleisen, verübten Bombenanschläge und führten gezielte Attentate auf politische Gegner durch. So wollten sie die Regierung zu Fall bringen. Allein zwischen 1. und 8. Jänner 1934 verübten sie 140 Böller- und Sprengstoffanschläge im ganzen Bundesgebiet. Höhepunkt der Terrorwelle war ein Putschversuch im Juli 1934, bei dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erschossen wurde. An diesem Umsturzversuch beteiligte sich auch Robert Haider, der Vater des langjährigen FPÖ-Parteichefs Jörg Haider.

Haider flüchtete zur "Österreichischen Legion"

Der 1914 geborene Robert Haider aus Bad Goisern trat als 15-Jähriger der Hitlerjugend bei, ein Jahr später der SA, der Sturmabteilung der Nationalsozialisten. Nachdem er erwischt wurde, als er "Juda verrecke" an eine Mauer schmierte, flüchtete er nach Deutschland. Dort schloss er sich der "Österreichischen Legion" an, einer paramilitärischen Formation, die aus Nazis der ersten Stunde bestand, einer Ansammlung von Schlägern und Terroristen.

Bericht im "Kuckuck" über den braunen Terror in Wien.
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Rund 15.000 österreichische Nationalsozialisten traten dieser Legion bei, die meisten flüchteten im Juni 1933 ins "Deutsche Reich", nachdem die NSDAP in Österreich verboten wurde. Sie waren in Lagern der SA untergebracht, "wo sie für eine geplante Machtübernahme in Österreich militärisch ausgebildet wurden", sagt der Wiener Historiker Hans Schafranek, der das Buch "Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938" geschrieben hat.

Handgranaten auf Hilfspolizei

Dem Verbot der NSDAP ging ein Anschlag in Krems auf eine 56 Mann starke Abteilung der Hilfspolizei – alle waren "Wehrturner" der christlich-deutschen Turnerschaft – voraus. SA-Männer warfen auf die Gruppe drei Handgranaten – ein Hilfspolizist starb, 30 wurden verletzt. Nach dem Attentat musste die Regierung reagieren.

"Das Kleine Blatt" berichtet über das Attentat in Krems.
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Bis 1930 war die österreichische NSDAP eine unbedeutende rechtsextreme Partei. Das änderte sich im April 1932, als sie bei drei Landtagswahlen bis zu 20 Prozent der Stimmen erzielte. Nachdem Hitler am 30. Jänner 1933 in Deutschland zum Reichskanzler gekürt wurde, lief das traditionell zerstrittene und heterogene deutschnationale Lager in Österreich mit fliegenden Fahnen zu den Nationalsozialisten über, und die NSDAP wurde ein beachtenswerter politischer Akteur.

Sicherer Hafen für illegale Nazis

Doch zurück zur "Österreichischen Legion". Die war nach dem Verbot einerseits eine Drohkulisse gegenüber der Regierung in Wien, von der Putsch- und Invasionsgerüchte ausgingen. Andererseits war sie ein sicherer Hafen für die nunmehr illegalen Nazis. Zu den Aufgaben der Legionäre zählte das Schmuggeln von Waffen, Sprengstoff und Propagandamaterial von Deutschland nach Österreich, zudem übernahmen sie Kurierdienste, führten geheimdienstliche Operationen durch und halfen Gesinnungskameraden bei der Flucht. Bei Grenzübertritten von Legionären kam es immer wieder zu Schießereien.

Ein Putsch wie aus dem Lehrbuch

Kleinere Einheiten der Legion, darunter auch Haider, beteiligten sich am sogenannten Juliputsch, der am 25. Juli 1934 begann. Kurz vor 13 Uhr besetzten rund 150 SS-Angehörige das Bundeskanzleramt in Wien. Als Bundesheersoldaten und Polizisten verkleidet, konnten sie mit ihren Lkws einfach durch das geöffnete Eingangstor fahren. Ihr Ziel: Dollfuß' Regierung während der Ministerratssitzung zum Rücktritt zu zwingen und eine neue NS-kompatible Regierung unter Anton Rintelen einzusetzen.

Das Bundeskanzleramt in Wien.
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Die Leiche von Dollfuß im Bundeskanzleramt.
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Bundesheer vor dem Bundeskanzleramt.
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Wenig später stürmten 15 SS-Männer das Funkhaus der ersten österreichischen Rundfunkgesellschaft Ravag (Radio-Verkehrs-AG) in der Wiener Johannesgasse und erzwangen die Verlesung einer Radiomeldung über den angeblichen Rücktritt der Regierung Dollfuß. Diese Meldung war das vereinbarte Signal zum "Losschlagen" für die Nationalsozialisten in den Bundesländern. Es sollte ein Putsch wie aus dem Lehrbuch sein, der Befehl dafür ist "mit großer Wahrscheinlichkeit persönlich von Adolf Hitler" gekommen, wie der Wiener Historiker Kurt Bauer herausgefunden hat.

Daraus wurde nichts. Zwar wurde Dollfuß an jenem Tag erschossen, die restliche Regierung hatte das Gebäude schon frühzeitig verlassen, aber in Wien wurde der Putsch rasch niedergekämpft. Um 15.30 Uhr kapitulierten die Putschisten im Ravag-Funkhaus, nachdem die Kämpfe insgesamt vier Menschenleben gefordert hatten. Als das Bundeskanzleramt von Bundesheer- und Polizeieinheiten umzingelt wurde, legten die Nazis gegen 19 Uhr ebenfalls ihre Waffen nieder und wurden daraufhin verhaftet.

Putschisten werden beim Verlassen der Ravag verhaftet.
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Polizei vor dem Gebäude der Ravag.
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Trotz der Niederlage in Wien waren die Nazis in den Bundesländern nicht mehr zu stoppen. In der Steiermark und in Kärnten sowie in Teilen Oberösterreichs und Salzburgs kam es in den folgenden Tagen zu teils heftigen Gefechten zwischen Putschisten einerseits und Bundesheer, Polizei, Gendarmerie, dem mit dem Bundesheer verbundenen Schutzkorps sowie der Heimwehr andererseits. In manchen Ortschaften setzten die Nazis Bürgermeister ein, Gendarmen wurden entwaffnet und in Siedlungen Hakenkreuzfahnen gehisst. Im steirischen Leoben kam es zu einem Kampf Haus um Haus. Die Hoffnung der Putschisten, das Bundesheer auf ihre Seite zu ziehen, erfüllte sich allerdings nirgendwo. Der Putsch wurde schließlich bis zum 30. Juli niedergeschlagen. Mehr als 220 Menschen waren im Zuge der Kampfhandlungen getötet worden, darunter auch Zivilisten und Zivilistinnen.

Angriff in Kollerschlag

Robert Haider war dabei, als es am 27. Juli im oberösterreichischen Kollerschlag zu wilden Schießereien kam. Eine Gruppe von Legionären griff die örtliche Zollstation an der bayrisch-oberösterreichischen Grenze an, eine andere versuchte den Gendarmerieposten einzunehmen. Dabei kamen zwei "Legionäre" und ein Gendarm ums Leben. Ungefähr zur selben Zeit überfielen weitere Legionäre das südlich gelegene Grenzzollamt Haselbach, dabei kam ein Nationalsozialist ums Leben. Nach den Angriffen machten sich die Nazis, darunter Haider, nach Bayern davon. Die Legionäre wurden schließlich "zurückgepfiffen, als sich das Scheitern des Putsches in Österreich abzeichnete und Mussolini, der damals noch mit der österreichischen Regierung verbündet war, mehrere Divisionen am Brenner aufmarschieren ließ", sagt der Historiker Schafranek.

Die Gendarmerie sperrt die Innbrücke, die Braunau mit Simbach in Bayern verbindet.
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Bei dem Überfall in Kollerschlag war auch Anton Burger dabei, der spätere Kommandant des Ghettos Theresienstadt. Dort war der SS-Obersturmführer Burger wegen seiner Grausamkeit und Willkür gefürchtet. Er selbst stellte Transportlisten in das Vernichtungslager Auschwitz zusammen und exekutierte KZ-Häftlinge.

Gründung der FPÖ am Küchentisch beschlossen

Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an Deutschland kehrte Haider nach Oberösterreich zurück und wurde Gaujugendwalter der Deutschen Arbeitsfront in Linz. 1939 meldete er sich freiwillig an die Front. Nach 1945 war er kurz im Gefangenenlager Glasenbach bei Salzburg interniert, das die US-Amerikaner für Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher errichtet hatten. 1949 waren Haider und seine Frau Dorothea an der Gründung des VDU, des "Verbands der Unabhängigen", beteiligt – aus dem 1956 die FPÖ entstand. Dorothea Haider schreibt in ihren Erinnerungen "Mein Sohn Jörg": Der erste FPÖ-Obmann, der ehemalige SS-General Anton Reinthaller, und sein Nachfolger Friedrich Peter, der bei einer SS-Mordeinheit war, hätten nach einem Gespräch mit ihrem Mann Robert "an unserem Küchentisch beschlossen, die FPÖ zu gründen". Die drei Männer waren alle Gefangene in Glasenbach.

1997 erhielt Robert Haider das "Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich", auf Anregung des Österreichischen Seniorenrings. Als die Verstrickung Haiders in die Terroraktion in Kollerschlag in den 1990er-Jahren ein mediales Thema wurden, reagierte sein Sohn Jörg auf die für ihn typische Weise – der damalige FPÖ-Chef begab sich in die Opferrolle und attackierte Medien.

Nicht der einzige "freiheitliche Putschist"

Robert Haider war nicht der einzige Freiheitliche, der am Juliputsch beteiligt war. Das FPÖ-Gründungsmitglied Klaus Mahnert sollte nach der Ermordung eines bei den Nazis besonders verhassten Polizeioffiziers den Aufstand in Innsbruck auslösen, wozu er sich aber angesichts der schnellen Niederschlagung des Aufstandes in Wien nicht entschließen konnte. Mahnert brachte es später zum SS-Obersturmbannführer, zum Gauleiter-Stellvertreter und schließlich zum Gauinspekteur von Tirol und Vorarlberg. Im Juni 1948 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt, aber bereits im Dezember 1949 begnadigt. Für die FPÖ war Mahnert als Mitglied der Bundesparteileitung sowie als Abgeordneter zum Nationalrat tätig.

Auch Reinhold Huber, der Kärntner Landesobmann der FPÖ von 1956 bis 1965, beteiligte sich am Juliputsch. Zwei seiner zwölf Kinder, Kriemhild Trattnig und Alois Huber, waren ebenfalls politisch in der FPÖ tätig. Beide galten über Jahre als "nationale Aushängeschilder" der Partei.

Der "Fahrdienstleiter des Todes"

Unter den Putschisten waren auch spätere Kriegsverbrecher, wie Franz Konrad. Der 1951 in Warschau hingerichtete SS-Hauptsturmführer war für den Raub jüdischen Vermögens im Warschauer Ghetto zuständig.

Auch Franz Novak, der "Fahrdienstleiter des Todes", war dabei. Er war nach dem "Anschluss" einer der engsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns, des Organisators der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden. Novak stellte die Züge zusammen, die Millionen von Menschen in die Konzentrationslager brachten. Erst 1961 landete Novak vor Gericht. In der Untersuchungshaft im Landesgericht Wien leugnete er, vor 1945 von der Ermordung der von ihm deportierten Jüdinnen und Juden erfahren zu haben. In seinem ersten Prozess 1964 in Wien verteidigte Novak sich mit den Worten: "Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof." Novak wurde schließlich 1972 zu lediglich sieben Jahren Haft verurteilt, da er die "Unversehrtheit von Passagieren bei einem Eisenbahntransport vorsätzlich gefährdete".

Bevorzugt bei "Arisierungen"

Die Beteiligung am Umsturzversuch verhalf vielen Beteiligten zu einem sozialen Aufstieg im sogenannten Dritten Reich. Spätestens nach dem Einmarsch deutscher Truppen im März 1938 wurden sie mit guten Jobs versorgt. Nach dem "Anschluss" gingen die Angehörigen der "Österreichischen Legion" politisch zumeist leer aus, da sie erst drei Wochen nach der Wehrmacht nach Österreich zurückkehren durften und alle Pfründe bereits vergeben waren, erklärt Schafranek. Umso hemmungsloser konnten und durften sie sich jedoch bei den sofort einsetzenden "Arisierungen" austoben, also das Eigentum österreichischer Jüdinnen und Juden rauben. (Markus Sulzbacher, 14.7.2022)