Florian Krammer beantwortet Fragen der STANDARD-Community.

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Die Fragen rund um die Impfung gegen das Coronavirus reißen nicht ab. Vor allem stellt sich derzeit für viele Menschen die Frage der vierten Impfung. Wann ist der richtige Zeitpunkt? Wann kommt ein angepasster Impfstoff auf den Markt? Und wie soll man umgehen, wenn man schon dreimal geimpft ist und auch eine Covid-Erkrankung hinter sich hat? Ausgewählte Fragen der STANDARD-Community hat der renommierte Virologe und Impfstoffforscher an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, Florian Krammer, beantwortet.

Florian Krammer: Ja, das ist eine gute Frage und etwas, das mich auch ärgert. Technisch gesehen können die RNA-Impfstoffe blitzschnell angepasst werden, und angepasste Impfstoffe könnten theoretisch auch innerhalb von zwei bis drei Monaten ausgeliefert werden. Das Problem war aber, dass nicht klar war, was man für eine Zulassung braucht. Omikron tauchte im November 2021 auf. Für einen angepassten Impfstoff waren wieder klinische Studien nötig, die wurden Anfang 2022 begonnen, und das verzögert die Sache leider um mehrere Monate. Diese Studien wurden durchgeführt, und ein Teil der Daten wurde im Juni den Zulassungsbehörden präsentiert: der US-amerikanischen FDA in einem Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee (VRBPAC) Meeting am 28. Juni, der EMA durch Einreichen von Unterlagen am 15. Juni (Pfizer/BioNTech) und 17. Juni (Moderna).

"Meiner Meinung nach sind hier die Zulassungsbehörden gefordert, um einen schnellen Weg zur Zulassung von angepassten Impfstoffen zu etablieren", sagt Krammer.
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Es ist anzunehmen, dass an Omikron angepasste Impfstoffe jetzt im Herbst kommen. Aber natürlich macht dieser lange Zulassungsweg überhaupt keinen Sinn. Bei der Influenzaimpfung passen wir die Virusstämme im Impfstoff jedes Jahr an. Und dafür müssen keine klinischen Studien mit den angepassten Impfstoffen durchgeführt werden. Was auch vonseiten der Sicherheit okay ist, weil sich ja nur die Sequenz der Antigene leicht geändert hat, der Impfstoff aber im Grunde derselbe ist. Genauso ein Verfahren wäre auch bei Sars-CoV-2 ideal und würde es erlauben, schnell angepasste Impfstoffe zur Verfügung zu stellen, wenn eine neue Variante kommt, die uns Sorgen bereitet. Und nur wenn der angepasste Impfstoff schnell kommt, kann sein Einsatz eine optimale Wirkung gegen eine neue Welle haben. Meiner Meinung nach sind hier die Zulassungsbehörden gefordert, um einen solchen schnellen Weg zur Zulassung von angepassten Impfstoffen zu etablieren. Damit das das nächste Mal schneller geht (falls es notwendig wird).

Krammer: Unter der Annahme, dass die Infektion mit Omikron passiert ist, würde ich sagen, dass der Schutz sehr hoch ist und momentan keine Impfung benötigt wird. Wenn es sich bei Ihnen nicht um eine Risikoperson handelt beziehungsweise Sie noch nicht über 65 Jahre sind, würde ich momentan sehr beruhigt sein, aber mir im Herbst einen angepassten Impfstoff holen, wenn dieser verfügbar wird.

Übrigens hat eine Studie aus Katar vor kurzem sehr schön gezeigt, dass, wenn man eine Omikron-BA.1-Infektion hatte, man einen hohen Schutz (etwa 75 Prozent) gegen eine BA.4/BA.5-Infektion hat. Passieren kann es natürlich trotzdem, aber es ist unwahrscheinlicher.

Krammer: Ab 65 Jahren beziehungsweise wenn eine Immunschwäche oder ein hohe Risiko vorliegt, sollte man sich jetzt eine vierte Impfung mit dem "alten" Impfstoff holen, da schließe ich mich der Empfehlung des Nationalen Impfgremiums an. Für gesunde Personen unter 65 Jahre würde ich empfehlen, auf den angepassten Impfstoff zu warten, der vermutlich im Herbst kommt.

Die Frage, was in diesem Impfstoff drinnen sein wird, ist sehr interessant. Moderna hat bisher Daten mit einem bivalenten Impfstoff gezeigt, der "wild typ" (also die alte Spike-Sequenz) und Omikron BA.1 enthält. Die Daten schauen gut aus. Pfizer/Biontech haben Daten zu einem bivalenten und einem monovalentem BA.1-Impfstoff präsentiert, der monovalente Impfstoff induzierte bessere neutralisierende Antikörper als der bivalente. Die Daten wurden am 28. Juni der FDA im Ramen des VRBPAC-Meetings präsentiert. Das VRBPAC-Komitee hat dazu geraten, einen bivalenten Impfstoff, der BA.5 enthält, zu verwenden. Es ist jetzt unklar, ob in Europa ein BA.1-Impfstoff kommt und in den USA ein BA.5-Impfstoff (beide vermutlich bivalent) oder ob nur ein BA.5-Impfstoff kommt. BA.5 wäre meiner Meinung nach besser, aber auch BA.1 wäre sehr sehr hilfreich.

Krammer: Sehr gute Fragen! Gleich nach einer Impfung (egal ob das jetzt die zweite, die dritte oder die vierte ist) haben Sie nach wie vor einen guten Schutz gegen symptomatische Erkrankungen mit Omikron und seinen Varianten. Der Schutz fällt aber recht schnell ab – innerhalb von Wochen – während der Schutz gegen schwere Erkrankungen robust bleibt. Hier ein Link zu britischen Studien die das sehr schön zeigen. Und hier ein Link zur israelischen Studie, die sich das mit der vierten Impfung angesehen hat.

Diese Reduzierung des Schutzes hat meiner Meinung übrigens mehr mit den Varianten zu tun als mit einem Abfall der Immunantwort. Wenn sich das Virus nicht verändert hätte, würden zwei bis drei Impfungen meiner Meinung nach noch einen guten langfristigen Schutz gegen symptomatische Infektionen bieten. Aber leider hat sich Sars-CoV-2 stark verändert.

Krammer: Ich würde Ihnen eine angepasste Impfung im Herbst empfehlen, wenn diese verfügbar wird. Ich sehe hier kein Risiko. Die Nebenwirkungen (Reaktogenität) nehmen anscheinend leicht ab, je öfter man geimpft wird (Slides MD9 und MD10).

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Was wollten Sie schon immer den Virologen und Impfstoffforscher Florian Krammer fragen? Welche Fragen beschäftigen Sie rund um Corona? Posten Sie im Forum! Ausgewählte Fragen aus dem Forum werden von Florian Krammer beantwortet. (wohl, 19.7.2022)