Es ist noch nicht lange her, da war das Bundesheer vor allem anlässlich von zwei Gelegenheiten fest in den Köpfen der heimischen Bevölkerung verankert. Erstens, wenn im Sommer plötzlich Starkregen auf Hitzewellen folgte und Soldaten Keller auspumpten und Sandsäcke an Flussufern schlichteten. Und zweitens, wenn im Winter rotbackige Rekruten die Hänge der Kitzbüheler Streif präparierten, damit Athleten sie bald darauf auf Skiern hinunterdonnern konnten.

Zehn Milliarden Euro hat Ministerin Tanner dem Heer versprochen. Allein: Bisher ist das nur eine Ankündigung.
Foto: APA / Bundesheer / Gunter Pusch

Das mag etwas überspitzt formuliert sein, aber: Mit militärischer Landesverteidigung assoziierte das Bundesheer tatsächlich kaum jemand. Doch nicht in Österreich, wo man umringt von EU-Freunden seit Jahrzehnten ein beschauliches Leben als mitteleuropäische Insel der Seligen führte. Und überhaupt: Gegen wen würde sich die desolate Armee im Ernstfall schon verteidigen können?

Der Stellenwert des Heeres änderte sich sehr plötzlich mit dem Tag, der so vieles auf der Welt plötzlich änderte: dem 24. Februar, als Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfiel und einen blutigen Angriffskrieg mit unabsehbarem Ende begann.

Verbale Pflöcke

Auch Österreichs Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) nutzte diese Gelegenheit, um Pflöcke einzuschlagen – zumindest verbal: Zehn Milliarden Euro extra solle es für das Bundesheer geben, ließ sie im März wissen – in Form eines "Neutralitätsfonds", mit dem der Investitionsrückstau der vergangenen Jahrzehnte abgebaut werden soll. Dazu solle auch das jährliche Regelbudget bis 2027 auf 1,5 Prozent des BIP angehoben werden.

Allein: Was im März klang wie vollendete Tatsachen, war nicht mehr als eine Ankündigung der Ministerin. Beschlossen ist noch nichts. Und auf Nachfrage wird im Verteidigungsministerium gar nicht erst versucht, das anders zu akzentuieren: Es sei nicht nur ungeklärt, wann es mit einem "Neutralitätsfonds" ernst werden könnte. Auch ob er überhaupt komme, sei letztlich völlig offen.

Aktuell verhandeln die Regierungsparteien über das künftige Wehrbudget. Obwohl die Summe unklar ist, gibt man sich zumindest optimistisch, bald eine Erhöhung verkünden zu können, ist aus Verhandlerkreisen zu erfahren. Aber wofür soll mehr Geld fürs Heer überhaupt verwendet werden?

"Hinwendung zur Verteidigung"

Die Grundlagen dafür wurden im vergangenen Jahr im "Streitkräfteprofil" formuliert, das Investitionen und Aufgaben des Bundesheers für die kommenden zehn Jahre vorgibt. "Kernpunkt ist eine Hinwendung des Heeres zur Verteidigung Österreichs", sagt Generalmajor Günter Hofbauer, der Stratege des Bundesheers, im STANDARD-Gespräch. Das sei ein wesentlicher Paradigmenwechsel zu früheren Jahren, als vor allem Auslandseinsätze des Militärs im Fokus gestanden seien.

Beim Aufbau der Kapazitäten konzentriert man sich auf drei Bereiche: Mobilität zu Land und in der Luft, die Wirkungsfähigkeit des Bundesheers und die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft.

Bei der Mobilität geht es darum, weggebrochenes Gerät, das teils noch aus den 1980ern stammt, zu ersetzen. Dazu gehören Radpanzer und die Hubschrauberflotte. Die Wirkungsfähigkeit soll durch eine Modernisierung der Ausrüstung von Soldatinnen und Soldaten erhöht werden, etwa bei der Nachtsicht- und Nachtkampffähigkeit. Und die Verteidigungsbereitschaft will man etwa mit Investitionen in die Autarkie der Armee verbessern: Auffüllen von Lagern, unabhängige Energieversorgung für Kasernen, moderne digitale Kommunikationsmittel. Besonders zentral seien zudem Investitionen in die Aufklärungsfähigkeit, speziell im Cyberspace, und die Anschaffung von Drohnen, sagt Hofbauer.

Neutralität als leere Worthülse

"Mit der Frage über die Ausrüstung steigen wir aber zu spät in die Diskussion ein", sagt Franz Eder, Dekan der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften in Innsbruck und spezialisiert auf Sicherheitspolitik. Dass das Bundesheer besser ausgestattet werden muss, ist auch für Eder unbestritten. Die Frage sei allerdings mit welchen Zielen. "Die Politik müsste dafür einmal offenlegen, was sie außen- und sicherheitspolitisch eigentlich erreichen will", sagt er. "Genau das passiert in Österreich aber nicht."

Neutralität klinge gut, sei aber eine leere Worthülse, die vor allem dazu diene, sicherheitspolitische Diskussionen abzuwürgen. Was es brauche, argumentiert Eder, sei eine ehrliche Diskussion über die Neutralität und auch einen etwaigen Nato-Beitritt. Daraus ergäben sich dann auch die Anforderungen für das Heer.

Grundsätzlich gibt es bei Investitionen ins Heer, vereinfacht gesagt, zwei Denkschulen. Eine, die im Heer selbst dominant ist und argumentiert: Man müsse in alle Waffengattungen Geld stecken und überall Investitionsrückstau aufholen. Und eine zweite, die eher außerhalb des Militärs zu finden ist und sagt: Man sollte sich darauf konzentrieren, einzelne Waffengattungen zu verstärken, in denen man schon hohe Kompetenzen hat – dazu gehören in Österreich etwa die ABC-Abwehr, die Pioniere oder die Spezialeinheit der Gebirgsjäger. Mit diesen spezifischen Kompetenzen könnte man sich verstärkt in einen europäischen Verbund einbringen. Andere Waffengattungen ließen sich auch ganz auf andere Länder auslagern. So verzichtet Slowenien etwa auf eine eigene Luftwaffe und lässt seinen Luftraum von Ungarn mitüberwachen.

Politische Fragen

Allerdings: Slowenien ist im Gegensatz zu Österreich Nato-Mitglied. Und Österreich sei aufgrund der Neutralität verpflichtet, seine Verteidigungsaufgaben allein zu erfüllen, sagt Hofbauer. Hinzu komme: Gebe man eine Waffengattung auf, sei auch das Know-how verloren. Das stelle langfristig ein "enorm hohes Risiko" dar. Politikwissenschafter Eder hält dem die Beistandspflicht im EU-Vertrag entgegen: Dort hält Artikel 42 fest, dass die Mitgliedsstaaten bei einem bewaffneten Angriff auf ein EU-Land zur Unterstützung verpflichtet sind.

Grundsätzlich bereitet man sich im Heer nicht auf konventionelle Angriffe vor. Denn Österreich ist, auch Richtung Osten, ausschließlich von EU- und Nato-Mitgliedern umgeben. Über Vor- und Nachteile einer eigenen Nato-Mitgliedschaft wird in Österreich dagegen ebenso wenig offen diskutiert wie über die reale Bedeutung der Neutralität im Jahr 2022. Letztlich gehe es auch beim Heer um die Frage, wie man Sicherheit in Europa organisieren und welchen Anteil Österreich daran haben will, sagt Eder. "Und das ist eine politische Frage, um die sich alle politischen Parteien in den vergangenen Jahrzehnten gedrückt haben." (Martin Tschiderer, 12.7.2022)