In Zeiten missglückter Parteitagsreden hält Bundeskanzler Karl Nehammer seine Ansprachen sehr kurz. Einen kleinen Scherz kann er sich aber auch diesmal nicht verkneifen, als er Nachkommen von Holocaustüberlebenden zum Frühstück in Jerusalem trifft: "Letztes Mal war ich als Innenminister hier, nun als Bundeskanzler. Sie bringen mir also Glück." Dem Befinden des vorvorletzten Bundeskanzlers, jenem von Sebastian Kurz, galt sogleich die erste Frage, die die Alt-Österreicherinnen und Alt-Österreicher an den Neuen hatten.

Kanzler Nehammer bei seinem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem.
Foto: APA / BKA / Schrötter

Außenpolitische Reisen, während sich zu Hause die Probleme stapeln, kommen nicht bei allen gut an. Doch Österreichs Regierungsspitze aus Nehammer, Innenminister Gerhard Karner und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner versucht in der östlichen Mittelmeerregion dennoch ÖVP-Themen zu setzen.

Die Erinnerungskultur betonte man mit Besuchen der Erinnerungsstätte Yad Vashem, die Österreich bis 2025 jährlich mit 500.000 Euro finanziell unterstützen möchte, und einem erneuten Versprechen des Kanzlers eines "Nie wieder" gegenüber Premier Jair Lapid. Auch an der Kotel – der Klagemauer – wurde die historische Verantwortung Österreichs erneut betont. Sie bildet das Rahmenprogramm für die politischen Anliegen der heimischen Politiker: Sicherheitskooperation, Gaslieferungen und eine strategische Zusammenarbeit in etlichen Bereichen.

Strategische Partnerschaft

Zu diesem Zweck unterschrieb man Dienstagmittags mit Lapid auch eine strategische Partnerschaft, die einst noch von Ex-Kanzler Sebastian Kurz angeleiert worden war und die etwa auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Schweiz besteht. "Ein wahres Upgrade der Beziehungen", sagt Lapid. Es soll dadurch unter anderem die Zusammenarbeit bei der Terrorismusabwehr, der Forschung, der Cyberkriminalität, aber auch der Entwicklung von Impfstoffen gestärkt werden – nicht für die aktuelle, aber weitere Pandemien, die noch in diesem Jahrhundert drohen.

Karl Nehammer und Israels Premier Jair Lapid.
Foto: APA / BKA / Schrötter

Es ist das Fundament, auf dem Fachministerinnen, Bildungsinstitutionen und freilich auch Unternehmen in Zukunft aufbauen sollten. Das betrifft auch das begehrte Gas, das mit keinem Wort in der strategischen Partnerschaft vorkommt, beim Vieraugengespräch der Regierungschefs aber angesprochen wurde, wie Nehammer vor Journalisten bestätigt. Israel glaube gar zehn Prozent der russischen Gasexporte nach Europa schon in zwei Jahren ersetzen zu können.

Nachdem der jahrzehntelange Poker auf einen dominanten Versorger und die fehlende Diversifizierung der Energieversorgung die Österreicherinnen und Österreicher derzeit teuer zu stehen kommt, will man Israel mit seinen neu entdeckten Gasreserven jedenfalls umgarnen und "Türöffner für die OMV" sein, wie es Nehammer ganz unverblümt ausdrückte.

Nichts davon wird Österreich durch den kommenden oder übernächsten Winter bringen, es ist eher als Langzeitperspektive gedacht. Israelisches Gas soll via Pipeline nach Ägypten und von dort als Flüssiggas Richtung Europa fließen.

Bei dieser Gelegenheit kritisierte der Kanzler auch erneut die EU-Kommission und Kommissionspräsident Ursula Von der Leyen direkt, die eine EU-weite Energieplattform "vollmundig angekündigt" habe, die aber nicht in die Gänge komme. "Solange die Plattform nicht funktioniert, habe ich keine andere Wahl als mich nationalstaatlich darum zu kümmern" wiegelte er Vorwürfe eines nationalen Alleingangs ab.

Keine heiklen Themen

Das israelisch-österreichische Verhältnis sei gut, betont man. Verstimmungen, wie sie etwa nach den Antisemitismusvorwürfen gegen Innenminister Karner auftraten, sind ausgeräumt, sagt auch der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch dem STANDARD. Er begrüße es sehr, "dass sich der Innenminister eingehend mit dem Holocaust beschäftigt". Prinzipiell gelte man mittlerweile als einer der engsten Freunde Israels in Europa, heißt es aus Delegationskreisen. Dabei hilft bestimmt auch, dass man das unangenehme Thema Palästinensergebiete auf der Reise einfach ausklammert und dies mit dem Besuch von Außenminister Alexander Schallenberg Ende April argumentiert.

Auch Kanzler Nehammer vermied es tunlichst, Themen anzusprechen, die die Israelis vor den Kopf stoßen könnten. Ganz im Gegenteil: dass Israel sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht anschließe, sei dessen geopolitischer Lage geschuldet und zu akzeptieren. Auch dass nicht alle Gasfelder Israels aufgrund umstrittener Grenzziehungen im östlichen Mittelmeer unumstritten sind, war bei den bilateralen Gesprächen kein Thema. Man habe gesagt, was man braucht, und Israel habe angeboten, was man bieten kann – nicht mehr, nicht weniger.

Zurück auf dem Platz vor der Klagemauer sagt Nehammer jedenfalls, es sei ein spezieller Platz, man spüre den "Spirit", den Geist dieser historischen Stätte. "Man kann Gott fühlen", schrieb Nehammer später ins Gästebuch. Es sei ein "Platz für alle Menschen, ein Platz für Frieden, Glauben, Freude, Gebet und Leben" – Leben doppelt unterstrichen.

Als die Delegation unter den Platz vor der Klagemauer ins Western Wall Heritage Museum geführt wird, wo historische Ausgrabungen freigelegt werden und Mordechai Eliav, der Generaldirektor der Western Wall Foundation, im Gespräch eine grabende Bewegung mit den Händen in Richtung Klagemauer macht, sagt der Kanzler: "Meter für Meter bis zum Herzen Israels." (Fabian Sommavilla aus Jerusalem und Tel Aviv, 12.7.2022)