Unsichtbarkeit wirft bisher noch viele technische Fragen auf.

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In der Natur können Tiere sich zwar nicht unsichtbar machen, aber dafür ziemlich gut tarnen. Die einen geben so kein einfaches Ziel für Feinde ab, die anderen können sich dadurch besser an ihre Beute heranschleichen. Eulen ähneln dem Baum, auf dem sie sitzen. Zebras verstecken sich in hohem Gras. Oktopusse wechseln bei Gefahr ihre Farbe. Insekten nehmen die Form grüner Blätter oder brauner Ästen an, um nahtlos mit ihrer Umgebung zu verschmelzen.

Der Polarfuchs, der in der nördlichen Polarregion lebt, tarnt sich in der Schneelandschaft durch sein weißes Fell.
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Nach diesem Prinzip setzen auch Menschen Tarnung ein – etwa im Militär oder auf der Jagd. Dabei sind sie auf Hilfsmittel wie Kleidung, Farbe oder andere Dinge angewiesen. Eine körpereigene, natürliche Tarnfunktion fehlt ihnen. Schon lange denkt der Mensch aber weiter als das. Er stellt sich vor, gänzlich unsichtbar zu werden. Doch selbst in Fantasy- und Science-Fiction-Romanen geht auch das nicht ohne Hilfsmittel. Harry Potter braucht einen Tarnumhang, um unsichtbar durch das nächtliche Hogwarts zu streichen. Bilbo Beutlin verschwindet nur, wenn er sich den Ring über seinen Finger stülpt. Der Wissenschafter Griffin in H. G. Wells' Roman findet eine chemische Formel, um sich unsichtbar zu machen.

Objekte brauchen Ablenkung

Ein Grund, warum tatsächliche Unsichtbarkeit so schwer herzustellen ist, liegt in der Physik, besser gesagt, der Optik. Menschen sehen Objekte, weil Licht sie sichtbar macht. Genauer gesagt: Das Licht trifft auf die Objekte, und diese werfen das Licht zurück. Um unsichtbar zu werden, müsste ein Objekt deshalb das sichtbare Licht um sich herum lenken und hinter sich wieder vereinen. Wie Wasser, das in einem Bach oder Fluss um einen Felsen fließt. Von außen wäre dann theoretisch nur sichtbar, was sich hinter dem Objekt befindet. Wie soll das funktionieren?

Licht um Objekte herum zu lenken ist theoretisch schon möglich. Dafür arbeiten Forschende mit sogenannten Metamaterialien. Sie kommen in der Natur nicht vor, lassen sich aber im Labor herstellen. Es handelt sich meist um spezielle Metall-Dielektrikum-Verbundwerkstoffe, die auf der Nanoebene entwickelt werden. Lichtstrahlen werden schrittweise zwischen winzigen Empfängern und Sendern – den "Meta-Atomen" des Materials – weitergeleitet. So kann elektromagnetische Strahlung ungehindert um ein Objekt herum fließen.

Forschende der Duke University in North Carolina haben es 2006 mit diesem Verfahren bereits geschafft, kleinere Objekte vor Mikrowellen einer bestimmten Wellenlänge zu verbergen. Ließen sich solche Materialien auf alle Frequenzen des sichtbaren Lichts und aus jedem Blickwinkel um ein Objekt herum führen, könnte dieses tatsächlich unsichtbar gemacht werden.

Von einem Umhang noch weit entfernt: Die "Metamaterial"-Umhüllung kann ein Objekt vor Mikrowellenstrahlen verstecken.
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Unternehmen bieten Tarnfolie an

In Form von Tarnfolien und Tarnschildern ist es Unternehmen mit ähnlichen Verfahren schon gelungen, Personen und Gegenstände unsichtbar zu machen – oder zumindest vor dem bloßen Auge zu verstecken. Eine Lösung stammt von Hyperstealth, einem kanadischen Hersteller von Tarnuniformen. Quantum Stealth nennen sie dort ihr Material, eine Art durchsichtiger Schirm, in dem viele Linsen nebeneinander angeordnet sind. Diese Linsen lenken das Licht um, was Personen oder Objekte hinter dem Schirm verschwinden lässt. Videos von Hyperstealth zeigen, wie Personen oder Miniaturflugzeuge hinter oder unter dem Schirm verschwinden. Bisher befindet sich das Material noch in der Entwicklungsphase.

Solche Konzepte sind durchaus verbreitet. Auf Youtube gibt es einige Tests und Demonstrationen solcher Tarnschilde. Das britische Unternehmen Invisibility Shield Co. sammelte heuer über eine Kickstarter-Kampagne Geld für seine eigene Variante. In Videos verschwinden Personen am Strand oder auf dem Parkplatz hinter dem Tarnschild, das aus der Nähe weiter gut erkennbar bleibt. Laut dem Unternehmen – das im Gegensatz zu seinen Produkten ziemlich undurchsichtig bleibt – funktionieren die Schilde am besten vor gleichmäßigen Hintergründen wie Gras, Sand, Himmel oder Asphalt. Mehr als 500.000 Euro kamen für die Produkte bisher zusammen, das Interesse ist groß.

Für knapp 60 Euro bietet das britische Unternehmen Invisibility Shield Co. einen kleinen Tarnschild an. Über Kickstarter hat das Produkt schon einige Spenden erhalten.

Künstliche Haut ahmt Umgebung nach

Bisher funktionieren solche Ideen vor allem im stationären Bereich. Sobald man hinter oder unter einen solchen Schild blickt, sieht man auch die Person, die dort sitzt oder steht. Bis Menschen komplett unsichtbar werden können, umfassend und aus allen Blickwinkeln, ist noch ein weiter Weg zu gehen. Doch auch hier macht die Forschung durchaus Fortschritte. Vor zwei Jahren entwickelten südkoreanische Forscher etwa eine Tarnhaut, die aus künstlichen Metamaterialien besteht. Zusammengesetzt sind sie aus "Pixeln", die mithilfe von sogenanntem thermochromen Flüssigkristall ihre Farbe je nach Temperatur ändern. Die Anpassung an die Umgebung erfolgt aber bisher noch nicht automatisch, sondern muss manuell eingestellt werden.

Dass Menschen sich à la Harry Potter in einen Umhang hüllen, der sie gänzlich unsichtbar macht und mit dem sie beliebig umherwandern können, liegt bisher noch in weiter Ferne. Metamaterialien, so vielversprechend sie auch sind, sind mit vielen Herausforderungen und technischen Fragen verbunden. Nicht zuletzt müssen sie ein breites Spektrum von Wellenlängen meistern, und das auch noch von verschiedenen Blickwinkeln aus.

Illusion durch Kamera und Projektor

Eine Methode, um Unsichtbarkeit oder zumindest Transparenz nachzuahmen, nutzten Forschende der Keio-Universität in Tokio zu Beginn der 2000er-Jahre. Das Team um den Wissenschafter Susumu Tachi steckte eine Person in einen speziellen Umhang und stellte sie an verschiedenen Orten in der Stadt auf. Hinter der Person stand eine Kamera, die den Hintergrund aufnahm. Vor ihr stand ein Beamer, der den gefilmten Hintergrund auf den Umhang projizierte.

So wurde die verhüllte Person scheinbar durchsichtig, man sah Fußgänger und Fahrradfahrerinnen, die sich hinter der Person bewegten. Die Methode funktioniert aber nur aus einem Blickwinkel, zu dem waren die Projektorbilder nicht hochauflösend. Ging man von hinten auf die Person im Umhang zu, war sie deutlich zu erkennen. Trotzdem haben Filmschaffende dieses Verfahren bereits weitergedacht. Ein ähnliches Verfahren setzen Tom Cruise und sein Team etwa im Film "Mission Impossible: Phantom Protokoll" ein, um einen Wachmann zu überlisten.

Mit Kamera und Projektor schaffte es der Wissenschafter Susumu Tachi (rechts), eine Person im Umhang zumindest durchsichtig zu machen.
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Hohe Rechenleistung erforderlich

Obwohl die Idee der japanischen Wissenschafter eher eine Spielerei ist, könnten künftige Technologien durchaus daran anknüpfen. Kameras und Projektoren ließen sich nämlich direkt auf einem Umhang anbringen. Dieser würde das Umgebungsbild wie ein LED-Bildschirm selbst generieren und nach außen projizieren. Funktionieren könnte das aus jedem Blickwinkel, solange Kameras diese aufzeichnen. Doch so einfach zu bewerkstelligen ist das leider nicht. Der Umhang müsste es schaffen, genau das Bild zu erzeugen, das Betrachterinnen und Betrachter aus der jeweiligen Richtung sehen würden. Laut Forschung ist es nicht mal so schwer, den Umhang mit den notwendigen LEDs, Linsen und Kameras zu bestücken. Eine Herausforderung ist vielmehr die erforderliche Rechenarbeit.

Informationen von den Kameras müssten laufend in Befehle für die Projektoren umgewandelt werden, und das, während sich der Träger bewegt. Zudem braucht es eine integrierte Energiequelle, die dafür genug Strom liefert. Die italienischen Informatiker Franco Zambonelli und Marco Mamei berechneten vor 20 Jahren, dass sich ein solcher Umhang für etwa 500.000 Euro herstellen ließe. Mittlerweile ist die Technik zwar fortgeschritten, dennoch bleiben Experten skeptisch. So ist es aufgrund der Entfernungswahrnehmung unwahrscheinlich, dass eine Kamera genau das aufzeichnet, was Beobachtende von ihrem Standpunkt aus sehen.

In den nächsten Jahren gibt es eher keinen Umhang, der unsichtbar macht. Dafür aber möglicherweise ein Gebäude, das im Nachthimmel verschwindet. In einem Vorort von Seoul in Südkorea soll in den kommenden Jahren der "Tower Infinity" entstehen – ein Wolkenkratzer, der mit Kameras an der Fassade die Umgebung aufnimmt und mit LEDs deren Erscheinungsbild nachahmt. So soll das Hochhaus "unsichtbar" werden. Nachts blinkt es wahrscheinlich trotzdem rot, um Hubschrauber und Flugzeuge vorzuwarnen.

Unfreiwillig unsichtbar

Auch wenn die bisherigen Lösungen für Menschen und Objekte unpraktikabel bleiben: Technologien, die vollständige, flexible und ortsungebundene Unsichtbarkeit gewährleisten, würden viele ethische Fragen aufwerfen. Wie der Wissenschaftsautor Philip Ball in seinem 2015 erschienenen Buch "Invisible: The Dangerous Allure of the Unseen" schreibt: "Niemand wird unsichtbar ohne ein Motiv." Die Technologie könnte von Individuen missbraucht werden, um Verbrechen zu begehen. Behörden könnten sie zur Überwachung der Bevölkerung einsetzen. Im Militär würde Unsichtbarkeit eine neue Ära der Kriegsführung und Spionage einleiten. Das Londoner Start-up Invisibility Shield gibt vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs in seiner Kickstarter-Kampagne jedenfalls an, seine Tarnschilde nicht nach Russland oder Belarus zu liefern.

Zudem wirft die Unsichtbarkeit – sofern die Technologie die privaten Haushalte erreicht – gesellschaftliche Fragen auf. Im Vergleich zu anderen Superkräften wie Fliegen ist Unsichtbarkeit nicht unbedingt spaßig. Schon heute gibt es "unsichtbare" Menschen, die in der Gesellschaft häufig zu wenig wahrgenommen werden – etwa Obdachlose, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderung oder viele andere Gruppen. Unsichtbarkeit heißt für sie, unfreiwillig vom politischen und kulturellen Leben ausgeschlossen zu werden. Die Unsichtbarkeit ist daher immer mit dem Privileg verbunden, diese freiwillig auszuüben. Bestenfalls können Menschen selbst entscheiden, wann sie sichtbar und wann sie unsichtbar sind. Bevor Menschen sich auf Knopfdruck unsichtbar machen können, wollen andere vielleicht zuerst eines: gesehen werden. (Florian Koch, 19.7.22)