Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes sorgen sich um die Netzneutralität.

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Vor sieben Jahren bangten Netzaktivisten und Bürgerrechtler um die Netzneutralität in Europa. Letztlich obsiegte die Vernunft, und mit der Open Internet Regulation wurde die Gleichheit der Datenströme beschlossen. 2016 manifestierte die zuständige EU-Telekom-Regulierungsbehörde Berec diese mit einem entsprechenden Regelwerk, das nur recht enge Ausnahmen erlaubt.

Nun schlagen allerdings 54 Abgeordnete des EU-Parlaments Alarm. Sie fürchten, dass Änderungen am im Herbst zur Vorlage anstehenden Connectivity Infrastructure Act die Netzneutralität unterlaufen könnten und haben einen Brief an die EU-Kommission (PDF) verfasst. Er folgt einem Schreiben verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich bereits im Juni öffentlich an die Kommission gewandt hatten.

Kommission will IT-Konzerne mitzahlen lassen

In ihrem Schreiben beziehen sie sich auf Medienberichte, darunter Statements der direkt adressierten Digitalkommissarin Margrethe Vestager. Sie werfen der Kommission vor, die Regelungen ohne Konsultation mit der Öffentlichkeit, Tech-Experten, Wissenschaft oder zivilgesellschaftlichen Organisationen umschreiben zu wollen.

Vestager hatte erwogen, Streamingplattformen wie Netflix, aber auch IT-Riesen wie Meta (vormals Facebook) oder Google und andere Teilnehmer, die für großes Datenaufkommen sorgen, dazu zu verpflichten, den Ausbau der Netzinfrastruktur mitzufinanzieren. Der Telekom-Lobbyverband Etno hatte damals auch eine Untersuchung veröffentlicht, wonach eine solche Zuzahlung von 20 Milliarden Euro ein Vielfaches davon – 72 Milliarden Euro – an positiven wirtschaftlichen Effekten einbringen würde.

Abgeordnete befürchten gravierende Folgen

Man sehe Indizien dafür, dass die Kommission die Regeln nun dahingehend ändern wolle, dass Provider von diesen Unternehmen Zusatzgebühren für die Netznutzung abverlangen können, die dem Ausbau von 5G und Glasfaser dienen sollen. Dies, so heißt es im Schreiben, "würde Jahrzehnte erfolgreicher Internetwirtschaft zunichte machen" und "Schlüsselgarantieren der Netzneutralität abschaffen, für welche die Europäer gekämpft haben". Eine solche "radikale" Regelung dürfe nicht ohne Konsultationen vorgenommen werden.

Solche Gebühren seien nicht erforderlich, da die Provider ohnehin bereits von ihren Kunden bezahlt würden. Man erinnert an einen ähnlichen, ebenfalls von Etno vorangetriebenen Vorstoß 2012. Damals hatte Berec ein solches Modell untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass diese nicht sinnvoll seien. Damals habe auch die Kommission selbst Ablehnung signalisiert.

Keine guten Erfahrungen

Zudem verweist auf Länder, in welchen derartige Regelungen massive Probleme für Kunden nach sich gezogen hatten. Ein Beispiel sind die USA, wo Netzbetreiber die Leitung für Online-Services gedrosselt hatten, die nicht zahlen wollten. Für die Nutzer bedeutete dies, dass sie Online-Videos nicht schauen oder auch nicht von zu Hause aus arbeiten konnten.

Die 54 Abgeordneten unterschiedlicher Parteien, die den Brief unterzeichnet haben, rufen die Kommission dazu auf, ein öffentliches Konsultationsverfahren zu starten und auch Berec hinzuzuziehen. Man unterstütze den Ausbau der Netze, sehe aber keine Notlage, mit der sich ein solcher Bruch mit der Netzneutralität im Herbst rechtfertigen lassen würde. (gpi, 12.7.2022)