Der US-amerikanische Supreme Court machte Abtreibung wieder zu einer Sache der Bundesstaaten – und diese sie vielfach illegal.

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Es ist ein belegtes Phänomen: Wenn der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt wird, verringert das deren Zahl nicht. Stattdessen werden die Eingriffe gefährlicher. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft eine Abtreibung dann als unsicher ein, wenn sie von jemandem ohne medizinische Ausbildung und unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt wird. Der weitaus größte Teil solcher Abbrüche findet in ärmeren Ländern statt. Dort führen jährlich etwa 220 von 100.000 unsicheren Eingriffen zum Tod der Frau. Andere Schwangere verletzen sich bei dem Versuch, eine ungewollte Schwangerschaft selbst zu beenden.

Seit Jahrzehnten gibt es darum Netzwerke und Initiativen, die Frauen sichere Alternativen bieten wollen. Im Geheimen oder unter Nutzung rechtlicher Schlupflöcher werden Abtreibungen mit hohen Sicherheitsstandards ermöglicht. Bevor der Zugang zu Abbrüchen über "Roe v. Wade" in den USA rechtlich verbrieft wurde, bot ein Kollektiv namens "Jane" Frauen Abtreibungen im Untergrund.

"Call Jane"

Die im Chicago der 1960er- und 1970er-Jahre aktive Gruppe schaltete Anzeigen in Zeitungen und plakatierte Poster im Stadtgebiet. Darauf wurden ungewollt schwangere Frauen aufgefordert, sich unter einer Telefonnummer bei "Jane" zu melden. Auf dem zu der Nummer gehörenden Anrufbeantworter hinterließen sie ihren Namen, ihre Adresse und den Zeitpunkt ihrer letzten Menstruation. Aktivistinnen kontaktierten die Anruferinnen anschließend und trafen sich mit ihnen in einer von mehreren in Chicago angemieteten Wohnungen, wo Beratung und Abbruch stattfanden.

Die Abtreibungen wurden erst von Medizinern durchgeführt, später von den Aktivistinnen selbst. Trotzdem verzeichnete das "Jane"-Kollektiv im Gegensatz zu anderen Anbietern illegaler Abtreibungen keinen einzigen Todesfall. 1972 wurden sieben der Aktivistinnen bei einer Razzia verhaftet. Ihr Gerichtsverfahren wurde von ihrer Anwältin bis zur Höchstgericht-Entscheidung im Fall "Roe v. Wade" hinausgezögert – und anschließend fallen gelassen.

Heather Booth, die Gründerin des "Jane"-Kollektivs, im Jahr 2022.
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Anfang der Achtzigerjahre änderte sich die Situation: Die Abtreibungspillen Mifepriston und Misoprostol kamen auf den Markt. Damit gab es die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft im frühen Stadium selbst zu beenden – im eigenen Zuhause und ohne Eingriff. Die Pillen haben eine Wirksamkeit von 98 Prozent und gelten als sehr sicher: Von 100.000 selbst durchgeführten medikamentösen Abtreibungen endet weniger als eine mit einem Todesfall. In dieser Zeit entwickelten sich in mehreren US-Bundesstaaten sogenannte Abortion Funds, lokale Netzwerke, die Frauen bei ihren medikamentösen und operativen Abbrüchen unterstützten.

So wurden etwa Spenden gesammelt, um die Abbrüche armutsbetroffener Frauen zu bezahlen. Freiwillige begleiteten die Schwangeren in die Kliniken oder beherbergten sie, wenn sie aus anderen Bundesstaaten anreisten. Mit der Aufhebung von "Roe v. Wade" durch den US-Supreme Court im Juni 2022 steht hinter der Arbeit vieler solcher Gruppen nun ein großes Fragezeichen. Das Höchstgericht hebelte das historische Urteil aus und legte die Gesetzgebung in dieser Frage in die Hände der Bundesstaaten. In Texas, Louisiana, Mississippi, Alabama, Arkansas, Missouri und South Dakota sind Abtreibungen nun illegal. In anderen Bundesstaaten gelten unterschiedliche Fristen und Einschränkungen. Doch wo vielen US-amerikanischen Aktivistinnen nun die Hände gebunden sind, greifen internationale Organisationen ihre Arbeit auf.

Schwimmende Klinik

Gleich drei solcher Organisationen hat die niederländische Ärztin und Aktivistin Rebecca Gomperts gegründet. Die Gynäkologin erlebte in einer südamerikanischen Klinik, welche Auswirkungen strikte Abtreibungsgesetze auf Betroffene hatten. 1999 gründete sie darum "Women on Waves", eine schwimmende Klinik mit zwei Medizinerinnen und einer Krankenpflegerin an Bord.

Die niederländische Ärztin Rebecca Gomperts.
Foto: Reuters / Hilde Verweij

Das Schiff legt an den Küsten von Ländern mit Abtreibungsverboten an, nimmt Patientinnen an Bord und führt in internationalen Gewässern ihre Abtreibungen durch. Bisher dockte "Women on Waves" unter anderem in Irland, Polen, Spanien, Marokko und Mexiko an. Die voll funktionsfähige Klinik wurde von einem niederländischen Künstler entworfen und vom Mondriaan Fonds finanziert. Dieser doppelte Status als Klinik und Kunstobjekt erlaubt es dem Schiff, Anlegeverbote zu umgehen.

Pillen per Post

Um mehr Frauen unterstützen zu können, rief Gomperts 2005 die Folgeorganisation "Women on Web" ins Leben. Die Organisation bietet telemedizinische Beratung und Versand von Abtreibungspillen. Ärztinnen und Ärzte führen mit den Schwangeren ein virtuelles Beratungsgespräch, das Angebot umfasst 16 Sprachen. Ist die Schwangerschaft in einem frühen Stadium – vor der zwölften Woche – und die Einnahme der Pillen angezeigt, werden sie per Post an die Patientinnen versandt. Die WHO stuft medikamentöse Abbrüche über Telemedizin im Allgemeinen und das Angebot von "Women on Web" im Speziellen als sehr sicher ein.

Seit 2018 bietet Gomperts diesen Service auch speziell für US-Amerikanerinnen an. Frauen, die in US-Bundesstaaten mit strengeren Abtreibungsgesetzen leben, können sich an ihre Initiative "Aid Access" wenden. Diese bietet wie die Schwesterorganisation "Women on Web" telemedizinische Beratung und Pillenversand. Dafür nutzt sie ein rechtliches Schlupfloch: Die beratenden Ärztinnen und Ärzte leben allesamt außerhalb der USA, die Pillen werden von einer Apotheke in Indien versandt. Den örtlichen Strafverfolgungsbehörden fehlt so die rechtliche Handhabe. In US-Bundesstaaten mit lockereren Gesetzen werden die Rezepte auch von Mitarbeiterinnen vor Ort eingelöst und verschickt. Seit dem Fall von "Roe v. Wade" meldeten sich Gomperts zufolge viermal so viele Frauen wie üblich bei "Aid Access". (Ricarda Opis, 13.7.2022)