Es ist keine Schande, unterschiedlicher Meinung zu sein, auch nicht innerhalb der ÖVP. Und es bedeutet nicht automatisch die Ablöse von Karl Nehammer als Bundeskanzler, wenn ihm die niederösterreichische Landeshauptfrau widerspricht. Auch wenn schwarz-türkise Gewitterwolken heraufziehen wie schon lange nicht. Prinzipiell muss ein Streit auf politischer Ebene nicht verwerflich sein. Man kann das auch als Diskurs sehen und diesen pflegen. Mag sein, dass der aktuelle Disput über eine staatliche Begrenzung für steigende Strompreise dem Kanzler nicht gelegen kommt, aber er ist nun einmal da, und dem muss er sich stellen. Es wird ihm nichts helfen, wenn er jetzt auf die EU und die Flüchtlinge hinhaut. Das ist als Ablenkungsmanöver zu platt.

Lasst uns über einen Strompreisdeckel diskutieren. Was spricht dafür, was dagegen?
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Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ist, anders als die Bundesregierung, der Meinung, dass es einen Strompreisdeckel braucht. Dem schlossen sich andere Landeschefs an. Mikl-Leitner, die lange Zeit ungewöhnlich ruhig war, wurde diesmal deutlich: Sie übte Kritik an der Regierung, die es verabsäume, eine Linie vorzugeben. Sie vermisse Führungsqualitäten.

Mikl-Leitners Aufwallung trägt auch nicht dazu bei, zu einer Linie zu finden, und man muss anmerken: In Niederösterreich wird im Frühjahr 2023 gewählt, die Umfragen sind schlecht, Mikl-Leitners Motivation für die Kanzler-Zurechtweisung ist also recht vordergründig.

Dennoch. Sie hat recht. Lasst uns über einen Strompreisdeckel diskutieren. Was spricht dafür, was dagegen? Liebe Regierung, erklärt euch. Legt endlich die Karten auf den Tisch. Seid ehrlich. Wir alle haben den Eindruck, dass uns die Regierung hinhält, im Unklaren lässt.

Klartext

Wie ernst ist die Lage? Worauf müssen wir uns einstellen? Das salbungsvolle Herumgerede der grünen Energieministerin Leonore Gewessler bringt uns nicht weiter. Wir wollen nicht beruhigt werden, wir wollen ernst genommen werden. Nein, wir vertrauen der Regierung nicht, aus Gründen. Wir brauchen Klartext, wie ihn etwa der deutsche Vizekanzler Robert Habeck, ein Grüner, zu sprechen versucht. Transparenz ist der Schlüssel zur Glaubwürdigkeit.

Was spricht denn gegen einen Strompreisdeckel, wie ihn andere Länder haben? Was ist machbar, was reiner Populismus? Müssen wir tatsächlich auf die EU warten? Wollen wir das?

Lasst die Bevölkerung an der Diskussion teilhaben, macht die Sachlage verständlich, bringt Argumente. Nichts spricht gegen einen öffentlichen Diskussionsprozess, wenn er ehrlich geführt wird. Das ist auch eine Mahnung an die Opposition: Bringt euch ein, aber bleibt ernsthaft. Lasst die miesen Tricks.

Das setzt aufseiten der Regierung voraus, offen und ehrlich zu kommunizieren. Und auch Landeshauptleute müssen sich erklären, nicht nur draufhauen.

Lasst uns die Debatte führen, aber sie muss begrenzt sein. Es braucht rasch eine belastbare Entscheidungsgrundlage. Wenn es überzeugende Argumente in die eine oder andere Richtung gibt (und Nehammer dann noch Kanzler ist), beenden wir die Debatte. Mit einem Ergebnis, das im Idealfall eine breite Mehrheit in der Politik und in der Bevölkerung mittragen will. Ohne Streit. Für einen solchen Diskurs sollten wir uns alle auf die Schulter klopfen können. Auch die Medien, die ja als Plattform der Diskussion ein zentraler Bestandteil dieser wären. Wir schaffen das. Ihr auch? (Michael Völker, 12.7.2022)