Der Lebensraum der Flamingos des Salar de Atacama ist durch den Lithiumabbau bedroht.

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Lithium ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Gegenwart. Das Leichtmetall steckt in Lithium-Ionen-Akkus, die von Smartphones über Akkuschrauber bis hin zu E-Autos unsere moderne Welt antreiben. Gerade in Zeiten der Klimakrise kommt Lithium eine Schlüsselrolle zu: Die Wende hin zu elektrischer Mobilität und nachhaltiger Stromversorgung erfordert gewaltige Mengen des Metalls.

Die großen Batterien, die schicke Wagen von A nach B bringen sollen, und die riesigen Akkus, die Solarstrom für die Nacht aufnehmen – beide Technologien sind von Lithium abhängig. Kein Wunder also, dass die Nachfrage explodiert und die Fördermengen steigen. Ganze 40 Prozent der bekannten Lithiumvorkommen liegen in einem salzigen Becken der Atacama-Wüste. Doch wie beeinflusst der Abbau dort das empfindliche Ökosystem?

Lithiumreiche Sole

Im Norden Chiles, zu Füßen schneebedeckter Andengipfel, liegt eine Mondlandschaft. Wenige Pflanzen und noch weniger Menschen besiedeln die trockene Ebene des Salar de Atacama. Nur Flamingos tummeln sich in von dicken Salzkrusten umkränzten Soleseen. Im seichten Wasser jagen die Vögel nach Krebsen, denen sie ihre leuchtende Farbe verdanken. Ein genauerer Blick offenbart jedoch zahlreiche ökologische Nischen: Vor allem die aus Süßwasser bestehenden oberen Wasserschichten der Lagunen bieten Tieren einen wertvollen Lebensraum. Auch einige indigene Dörfer trotzen am Rande der Ebene dem Wassermangel.

Die oberen Wasserschichten der Soleseen stellen einen wertvollen Lebensraum in der dürren Atacama-Wüste dar. Tieferes Wasser ist sehr mineralreich und enthält Lithium.
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Seine Bewohner leben mit dem Salar in einem fragilen Gleichgewicht. Dieses ist gestört, seit Firmen im porösen Gestein der Ebene lithiumhaltige Sole fanden. Das Metall wird von Regen und Schmelzwasser aus dem vulkanischen Gestein der umliegenden Berge gewaschen und reichert sich im Salar an. Seitdem fördern Bergbauunternehmen Lithium, indem sie das mineralhaltige Grundwasser in fußballplatzgroße Becken pumpen, wo es nach und nach verdunstet. Zurück bleibt eine stark konzentrierte Lösung, die in Tankwagen aus der Atacama-Wüste zu Raffinerien an der Küste gebracht wird. Das dort abgeschiedene Lithium wird dann nach China verschifft, wo daraus Akkus entstehen.

Verantwortung der Unternehmen

Die Praxis erntet von verschiedenen Seiten Kritik: Einerseits profitiert Chile vergleichbar wenig vom Lithiumreichtum des Salar, da dem Land die Industrie zur Weiterverarbeitung des Metalls fehlt – die Wertschöpfung findet in China statt. Andererseits verschärft der enorme Wasserverbrauch der Lithiumförderung die Situation im Salar de Atacama: Die Region leidet bereits unter Trockenheit – wird ihr zusätzlich in großem Stil Wasser entzogen, sind die Auswirkungen auf lokale Ökosysteme schwerwiegend. SQM, der größte Lithiumproduzent Chiles, weist diese Bedenken zurück: Seit 25 Jahren habe sich der Grundwasserspiegel im Salar nicht verändert.

Je nach Konzentration nimmt die Sole in den Verdunstungsbecken bunte Farben an. Ist sie zunächst blau, wird die Lösung später grün, dann gelb und schließlich orange.
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Diese Probleme betreffen auch europäischen Firmen, wo die EU-Kommission an einem Lieferkettengesetz nach Vorbild Deutschlands arbeitet. Dort wurde bereits im Sommer 2021 die unternehmerische Sorgfaltspflicht auf alle Zulieferer ausgedehnt. Unabhängig davon versprechen Firmen wie der Autobauer BMW, die Lieferketten ihrer Rohstoffe zu überwachen. Teil dieser Anstrengungen ist eine aktuelle Studie der Universität Massachusetts Amherst, mitfinanziert von BMW.

Träger Wasserkreislauf

Satellitenaufnahmen, chemische Analysen und Wassernutzungsdaten erlaubten es den Forscherinnen und Forschern, für einen Zeitraum von 40 Jahren zu rekonstruieren, woher die Soleseen des Salar ihr Wasser nehmen. Bisher ging man davon aus, dass die Lagunen von unregelmäßigen Regenfällen und dem saisonalen Schmelzwasser der umgebenden Berge gespeist werden. Doch dieses Bild scheint falsch zu sein: "Die Hydrologie ist hier viel komplexer als bisher gedacht", sagt Brendan Moran, Mitautor der Studie.

Der Lithiumabbau hat Narben in den Salar de Atacama gerissen. Die Andengipfel spiegeln sich nun in Verdunstungsbecken.
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Wie sich herausstellt, ist mehr als die Hälfte des Wassers, das den Salar de Atacama speist, über 60 Jahre alt. Aufgrund der Trockenheit der Region verlaufen hydrologische Prozesse sehr langsam. Bis sich Wasser den Weg in die Lagunen bahnt, vergehen offenbar Jahrzehnte. Daher ist der Salar besonders stark von kurzfristigen Veränderungen gefährdet. Bleiben durch den Klimawandel Regenfälle aus oder kommt es im Gegenteil zu Starkregen, kann der träge Wasserkreislauf diese Extrema nicht ausgleichen. In der Folge ist das ökologische Gleichgewicht im Salar de Atacama gestört, und Lebensräume sind bedroht.

Der lange Schatten des Lithiumabbaus

Die Studie macht deutlich, dass die Argumentation von SQM nicht stichhaltig ist: Dass der Grundwasserpegel seit 25 Jahren stabil ist, bedeutet nicht, dass die Lithiumförderung keine Schäden hinterlassen hat. In einem derart langsamen System treten Veränderungen mit starker Verzögerung auf. "Die Effekte des starken Wasserverbrauchs bahnen sich noch ihren Weg durch den Wasserkreislauf", erklärt Moran. Mögliche Auswirkungen könnten dann aber für Jahrzehnte spürbar sein, so der Forscher.

Der Lithiumabbau im Salar de Atacama hat also bereits unabsehbare Schäden hinterlassen. Welche das sind, werden wir erst wissen, wenn es zu spät ist. Ähnliches wird für alle Rohstoffe gelten, die in großer Menge in empfindlichen Ökosystemen gefördert werden: Manche Auswirkungen sind nicht unmittelbar sichtbar, aber anhaltend. Daher arbeiten Firmen an Alternativen. So könnte Lithium in größerem Maßstab recycelt werden. Andernfalls wäre der Preis der Energiewende ein zerstörtes Ökosystem am anderen Ende der Welt. (Dorian Schiffer, 13.7.2022)