Sie kombiniert barockes Cembalo mit Videoprojektionen, Francesca Caccinis "Lasciatemi qui solo" mit expressiver Körperkunst und vielstimmigem Klangkanon. In Pia Palmes Inszenierungen trifft Historie auf Hightech, Natur auf Kultur. Ein wilder Mix scheinbarer Gegenpole, vereint in ungewohnten Harmonien. Experimentalmusik-Performances wie "Kreidebleich und Wechselwirkungen" zählen zum zentralen Outcome ihres Forschungsprojekts "On the Fragility of Sounds", das vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) gefördert wird.

Im Kunstprojekt "On a Former Island" werden neben einer Performerin auch Pflanzen und Steine prominent in Szene gesetzt.
Foto: Tuomas Laitinen

Mit dem Projekt an der Kunstuni Graz wollte die Wissenschafterin eine Forschungslücke zur Perspektive von weiblichen Künstlerinnen schließen. Kaum sei bisher aus der Sicht der Künstlerinnen selbst geforscht worden, schon gar nicht abseits europäischer Musiktradition.

Herausgekommen sei ein "komplexes Ökosystem des Wissens", wie Palme sagt, in dem die künstlerische Handlung als Aktivität im Mittelpunkt steht, aus Perspektive der Komponistinnen: "Ich glaube, selten haben so viele Frauen, genauer ‚female identified persons‘, über ihre musikalische Arbeit gesprochen und geforscht", zeigt sich Palme erfreut.

Mensch und Maschine

Eines von Palmes jüngsten Werken, "On a Former Island", das im April im finnischen Sibelius-Museum in Turku Premiere feiert, setzt neben finnischen Künstlerinnen Steine und Pflanzen der Gegend prominent in Szene. Das Nebeneinander von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren ist inspiriert von den Arbeiten der US-Theoretikerin Donna Haraway.

Palme setzt Haraways Cyborg-Theorien auf ihr Forschungsfeld mit einer Reflexion über das Zusammenwachsen der Performerin mit dem Instrument um: "Viele Musikerinnen fragen sich: Wo fängt das Instrument an, und wo höre ich auf? Ob der eigene Atem in eine Flöte fließt oder ob man ein Cello vor sich hält." Für komplexe Systeme wie das Musiktheater habe sich der Ökologie-Begriff bewährt.

Pia Palme forscht zu Komponistinnen.
Foto: Maria Frodl

Die leblosen Elemente seien ebenso wichtig wie die performenden Personen: "Alles wirkt zusammen. Auch Bühnentechnik, Akustik, Lautsprecher oder Mikrofone."

Palme bezieht sich auch auf Positionen des kritischen Transhumanismus: "In der Ökologie denkt man immer an das Gesamtsystem. Kein Teil nimmt einen Sonderstatus ein, auch der Mensch nicht. Denn alle sind gemeinsam beteiligt, alle interagieren. Ökologisch gedacht war der Mensch nie etwas Besonderes", sagt Palme. Alles habe ein Eigenleben, nichts sei völlig unter Kontrolle.

Wie Palme betont, verortet Haraway das "allsehende Auge", den männlichen, weißen, distanzierten Blick auf die Welt in der Dominanz des Visuellen in den westlichen Kulturen. Palme fokussiert auch auf das Auditive: "Indigene Kulturen vollzogen die Trennung zwischen Natur und Kultur nicht, entwickelten eine andere Form der Wahrnehmung und des Hörens, bei der man sich mit einer Landschaft verbindet. Forscherinnen wie Annea Lockwood denken in Soundscapes, in ganzen Landschaften. Weil das Hören dreidimensional ist, im Gegensatz zum Sehen. Pauline Oliveros spricht vom Deep Listening, einem tief in eine Situation Hineinhören."

Geschultes Hören

Frauen seien besser geschult, Subtexte zu hören: "Wenn in meinem Umfeld ein Baby schrie, sprangen meist Frauen auf. Das sind ganz simple Dinge, die man in der Gesellschaft beobachten kann. Wenn jemand von Ärzten spricht, wissen wir nie genau: Wurden Ärztinnen vergessen, oder geht es nur um männliche Ärzte? Wen betrifft eine Aussage? Das müssen wir als Frauen heraushören können."

Feministische Position

Zu ihrer eigenen künstlerischen Arbeit sagt Palme, dass sie selbst keine feministische Kunst produziere, aber Kunst auf feministische Weise: "In meiner künstlerischen Praxis bin ich geleitet von meiner feministischen Position." Palme gehöre einer Generation an, "für die es nicht selbstverständlich war, als Berufswunsch Komponistin anzugeben." Die vielfach ausgezeichnete Musikerin, die auch ein Magistrastudium der Mathematik an einer technischen Universität absolvierte, näherte sich ihrem Lebenstraum spät und auf verschlungenen Umwegen an. (Nadja Sarwat, 17.7.2022)