Die Bevölkerung Sri Lankas hat genug von ihrem Präsidenten.

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Für den bisher mächtigsten Mann des Landes müssen die Stunden am Flughafen erniedrigend gewesen sein: Präsident Gotabaya Rajapaksa wollte am Dienstag einen Flug Richtung Dubai boarden. Im VIP-Terminal wartete er darauf, dass ein Grenzbeamter seinen Pass abstempelt. Doch es kam niemand. Hinaus auf den öffentlichen Terminal traute er sich nicht. Am Wochenende hatten immerhin hunderte Demonstranten seinen Palast gestürmt. "Gota got to go!", hatte der wütende Mob skandiert.

Auch sein Bruder Mahinda, der ehemalige Premier, wurde am gleichen Tag am Flughafen von Colombo von Protestierenden daran gehindert, das Land zu verlassen. Und auch einen weiterer Bruder, Basil, haben Beamte am Flughafen einfach nicht bedient; auch er ist wohl weiterhin im Land.

Die Rajapaksas hatten es vor Mittwoch eilig, Sri Lanka zu verlassen. Gotabaya hatte zuvor offenbar bereits versucht, mit einer Militärmaschine nach Indien zu fliegen – wo er aber keine Landegenehmigung erhielt. Auch ein US-Visum wurde ihm verwehrt. "Jetzt wissen wir, wofür die Deadline war: um rechtzeitig aus dem Land zu kommen", ätzten Aktivsten schon bald danach auf Twitter.

Denn am 13. Juli, so hatte es Präsident Gotabaya auf Druck der Protestierenden angekündigt, also am Mittwoch, würde er zurücktreten. Er war der Letzte aus dem mächtigen Polit-Clan, der bis zuletzt an seinem Posten festgehalten hatte. Basil trat bereits im April als Finanzminister zurück. Mahinda Ende Mai als Premierminister. Gotabaya hatte die Brüder unter Druck gesetzt, zu gehen, um selbst an der Macht zu bleiben. Doch an diesem Mittwoch sitzen wieder alle im gleichen Boot: Die mächtigste Familie Sri Lankas ist auf der Flucht – und kann nirgendwohin.

Was war passiert?

Die seit Jahrzehnten regierenden Eliten Sri Lankas, allen voran der Rajapaksa-Clan, wurden sprichwörtlich aus ihren Palästen gejagt. Die Bilder vom Wochenende mit den im Pool des Präsidentenpalasts planschenden Demonstranten gingen um die Welt. Zur gleichen Zeit wurde die Residenz von Premierminister Ranil Wickremesinghe angezündet. Er hatte im Mai von Gotabayas Bruder Mahinda übernommen. Auch Wickremesinghe hat mittlerweile seinen Rückzug angekündigt.

Im Präsidentenpalast waren auch am Dienstag hunderte Menschen unterwegs. Vor den Toren bildeten sich lange Schlangen.
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Den Demonstranten war schlicht der Kragen geplatzt. Die Regierung hat es geschafft, das eigentlich recht stabile Land in wenigen Jahren in den Bankrott zu wirtschaften. 2017 war das BIP des Inselstaats noch höher als etwa das von Indien oder Bangladesch. Doch alles war auf Schulden aufgebaut, nicht auf verdientem Geld, wie ein Ökonom zum "Guardian" sagte. Heute kann sich das Land nicht mehr ausreichend Lebensmittel, Benzin und Medikamente leisten. Seit spätestens März entlädt sich der Wut der Bevölkerung über die Misswirtschaft. Bei den Protesten starben seither mehrere Menschen.

Ist Sri Lanka Opfer von Pandemie und Ukraine-Krieg?

Zugegeben, die allgemeine Weltlage hat es den Regierenden nicht leicht gemacht: Bei islamistischen Terroranschlägen 2019 starben mehr als 250 Menschen. Der Tourismus, auf den das Land zu einem Gutteil gesetzt hatte, brach daraufhin schlagartig ein. Die Covid-Pandemie folgte kurz darauf. Seit Februar ließ der Ukraine-Krieg schließlich Benzin- und Nahrungsmittelpreise steigen. Das konnte der Staat schlicht nicht mehr stemmen.

Am 6. Juli verkündete das Land schließlich offiziell den Bankrott. Über 50 Milliarden US-Dollar Schulden haben sich angehäuft. Inzwischen hat Sri Lanka etwa den Internationalen Währungsfonds (IWF) und auch Russland um Hilfe gebeten.

Wie wurde das Land so kaputtgewirtschaftet?

Noch vor drei Jahren sah die Welt von Gotabaya anders aus: Er konnte an den Urnen einen Erdrutschsieg erringen. Der Ex-Militär war genau der starke Mann, den sich die Bevölkerung nach den verheerenden Osteranschlägen gewünscht hatte. Über seine mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Vergangenheit wurde hinweggesehen. In populistischer Manier machte er überzogene Versprechen. Seine Versuche, diese umzusetzen, kosteten das Land aber Kopf und Kragen.

Massive Steuersenkungen ließen die Staatskassen austrocknen. Sein Prestigeprojekt, chemische Düngemittel zu verbieten, ließ den Agrarmarkt zusammenbrechen. Und die Kooperationen der Rajapaksas mit China trieben den Inselstaat in eine Schuldenfalle, aus der es kaum ein Entrinnen gibt.

Was bedeutet die Krise für die Region?

Indien hat in den vergangenen Monaten nun bereits mehrere Milliarden Dollar an Sri Lanka überwiesen. Auch China gab an, Sri Lanka weiter zu unterstützen. Pekings relative Zurückhaltung im Vergleich zu früher ist aber bezeichnend. Die aktuellen Zahlungen sind wohl nur ein paar Tropfen auf den sehr heißen Stein. Der IWF arbeitet mit dem Land daran, Lösungen zu finden. Mehrere Jahre würde es dauern, bei ordentlichem Management und Umstrukturierung der Schulden, bis Sri Lanka wieder auf die Beine kommt, sagen Ökonomen.

Was als Vorbild und Hoffnungsträger für kleinere Länder in Südasien galt, hat sich zum traurigen Negativbeispiel entwickelt: Mit Schrecken blicken Länder wie Nepal und Pakistan auf die kleine Insel und überlegen, wie sie einem ähnlichen Schicksal entgehen können. In Nepal steht man mittlerweile von China finanzierten Projekten um vieles skeptischer gegenüber als noch vor wenigen Jahren. Das Land wendet sich vermehrt wieder der Kooperation mit Indien zu, chinesische Projekte liegen auf Eis.

Was passiert als Nächstes?

Wenn der Präsident und der Premier ihre Versprechen einhalten, dann sind sie mit Mittwoch Geschichte – zumindest einstweilen. Am 20. Juli soll das Parlament einen neuen Präsidenten wählen. Die größte Oppositionspartei hat ihren Chef Sajith Premadasa nominiert, Sohn eines 1993 umgebrachten Präsidenten des Landes. Das Parlament unter Führung von Parlamentssprecher Mahinda Yapa Abeywardena soll als Nächstes am Donnerstag zusammenkommen. (Anna Sawerthal, 13.7.2022)