
Der Lyriker und Übersetzer Raoul Schrott stellt sich heuer in Lech mit altägyptischer Liebespoesie ein.
Zum zweiten Mal findet heuer das Literaricum Lech statt. Das Konzept des von den Autoren Michael Köhlmeier und Raoul Schrott initiierten und von Nicola Steiner fein kuratierten Programms besteht im Fokussieren. Es stellt jede Ausgabe ein Werk der Weltliteratur ins Zentrum der drei Tage (14. bis 16. 7.) und knüpft zeitgenössische Fragen und Fäden daran. Zum Auftakt vergangenes Jahr war das Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman Simplicius Simplicissimus, heuer ist es Herman Melvilles 1853 erstmals veröffentlichte Erzählung Bartleby, der Schreiber.
Der berühmteste Satz daraus verkündet einen Unwillen zur Tat: "I would prefer not to." Mit diesem "Ich möchte lieber nicht" treibt der Sekretär erst seinen Arbeitgeber, einen Anwalt, aus der eigenen Kanzlei. Nachmieter übergeben Bartleby der Polizei, und er verhungert schließlich im Gefängnis, wo er sogar die Nahrungsaufnahme ablehnt.
Sehr wohl wollen aber die Beteiligten des Literaricums: Schauspieler Thomas Sarbacher wird die Erzählung für das interessierte Publikum lesen, damit dieses dann den Diskussionen der Tage besser folgen kann. Die Politologin Juliane Marie Schreiber wird etwa über den "Terror des positiven Denkens" sprechen, Schriftsteller Karl-Heinz Ott über die Rezeption des Textes. Der Germanist Christoph Bartmann macht sich angesichts von Bartleby Gedanken über die "moderne Arbeitswelt und ihre Zumutungen".
Elke Heidenreich spürt in ihrer Eröffnungsrede am Mittwochabend der Faszination des Werks nach, und Frank Witzel macht sich später Gedanken über "Die Kraft des Absurden" und darüber, wie Bartleby sein eigenes Schreiben (Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969) beeinflusst. Nicht zum Thema passt ein Extra von Raoul Schrott, das aber auch literarische Vorläufer und Marksteine im Sinn hat: Er stellt altägyptische Liebesgedichte vor. (wurm, 13.7.2022)