Leonore Gewessler und Robert Habeck haben richtig Spaß. Gerade hatten sich der deutsche Vizekanzler – als Minister für Klima, Energie und Wirtschaft zuständig – und Österreichs Klimaministerin die Funktionsweise der Großwärmepumpe der Wien Energie in allen Details erklären lassen. Diese steht in Simmering, ist eine der größten Anlagen dieser Art in Europa, versorgt zehntausende Haushalte mit Wärme, die nachhaltig aus der Abwärme im Wiener Versorgungssystem gewonnen wird. Aus 27 Grad wird Wasser mit 95 Grad gemacht. Habeck war beeindruckt: "So etwas gibt es in Deutschland nicht."

Begegnungen digitalen Haustieren und mit den menschlichen Ministerinnen Leonore Gewessler und ...
Foto: EPA / Christian Bruna

Als die beiden die Produktionshalle verlassen, die orangen Schutzhelme abnehmen, läuft plötzlich ein Hund auf sie zu – kein echter, sondern ein volldigitalisierter Computerhund. Er bleibt stehen, mustert mit seinen Kameraaugen die Promis, "schnuppert" an den Kameras der Journalisten.

Zum ersten Mal an diesem Tag, an dem der stets so ernsthaft dreinblickende Deutsche im Rahmen seines eintägigen Wienbesuchs neben Gewessler auch Europaministerin Karoline Edtstadler, Wirtschaftsminister Martin Kocher und Bundespräsident Alexander Van der Bellen traf, blitzen seine Augen vor Freude auf. Habeck nimmt dem Instruktor die Spielkonsole ab, lässt den Hund vor und zurück laufen. Das steckt nun auch die Klimaministerin an. Sie tut es ihm gleich, will dem Hund "Platzmachen" beibringen. Der Instruktor hilft aus. Alle lachen.

Die österreichischen Gastgeber, auch Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke, strahlen. Der Besuch des deutschen Vizekanzlers, bisher der höchstrangigste aus der seit Dezember regierenden rot-grün-liberalen Koalition, ist wie eine Auszeichnung "in düsterer Zeit". Da tut es gut, wenn das Eis gebrochen, die ernste Stimmung gelockert ist.

Sinn der Visite in Wien war natürlich nicht der Werksbesuch des an vielen Details interessierten Gastes. Zwei Länder, "die eine lange, enge Beziehungen haben" (Gewessler) und die vom Ukraine-Krieg und der Gaskrise besonders betroffen sind, wollten in der Not zusammenrücken, wie es in einer gemeinsamen Pressekonferenz hieß. Es gelte, die Sicherheit zu erhöhen, sich von russischen Eingriffen unabhängig zu machen, sich nicht spalten zu lassen. Das könne "nur dann erfolgreich gelingen, wenn wir geeint sind", vor allem auf europäischer Ebene.

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Gegenseitige Versicherung

Das wird von beiden per Unterschrift besiegelt. Deutschland und Österreich versichern einander, für eine klaglose Durchleitung von Gas durch ihre Netze zu sorgen. Grenzüberschreitend, was vor allem für die Versorgung von Tirol und Vorarlberg wichtig ist. Man sichert sich die Nutzung von Speichern zu und will einander bei der Diversifizierung der Energieversorgung unterstützen. Was Gewessler mehrfach betont: Österreichs Unternehmer sollten sich an der Errichtung von LNG-Terminals für Flüssiggas in Deutschland rege beteiligen.

In gewisser Weise wird so in Wien vorgeführt, was gerade auf vielen Ebenen quer durch die Europäische Union versucht wird. Tags zuvor hatte der deutsche Vizekanzler Tschechien besucht, die Versorgung mit Gas im Notfall zugesagt. Er spricht über "Szenarien, die man sich bisher nicht hatte vorstellen können". Vieles sei "weggeschoben worden, was uns jetzt mit voller Wucht trifft" – insbesondere die Abhängigkeit von russischem Gas. Europäische Zusammenarbeit sei jetzt "von zentraler Bedeutung". Es gebe eine Verpflichtung, das Gas untereinander auszutauschen: "Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft." Energie wurde lange nicht als kostbares Gut erkannt – das sei nun vorbei.

... Karoline Edtstadler: intensiver Besuchstag für Robert Habeck in Wien.
Foto: Imago / Michael Indra

Habeck, so scheint es, entwickelt sich als Vertreter der stärksten EU-Volkswirtschaft zu einer zentralen Figur der Stärke und des Rückhalts für eine Bevölkerung, die es immer mehr mit der Angst zu tun bekommt. In Deutschland gilt er als Superstar, als Ausnahmeerscheinung in Sachen öffentliche Aufarbeitung und Bewältigung von Ukraine-Krieg, Gaskrise und des drohenden Absturzes der Wirtschaft. In TV-Sendungen ist er Dauergast – anders als der als Zauderer geltende Kanzler Olaf Scholz.

Probleme konkret benennen

Was ist das Geheimnis des Politikers Robert Habeck, der sich nicht scheut, öffentlich auszusprechen, dass es in Wirtschaft und Gesellschaft im Winter "apokalyptische" Entwicklungen geben könnte, sollte Russlands Präsident Wladimir Putin Ernst machen mit der Drohung, Europa den Gashahn ganz zuzudrehen? Der Grün-Politiker beherrscht die Kunst, Versagen und Bedrohung mit konkreten Lösungsansätzen offen auszusprechen, Bürger damit Vertrauen zu geben.

Wie das geht, zeigte der promovierte Germanist und Philosoph auch in Wien: Gefragt, was er sich von der EU-Energiestrategie erwarte, die die EU-Kommission demnächst präsentieren wird, legte er selbst gleich ein kleines Konzept samt Analyse vor: Bisherige Notfallpläne sähen vor, dass zuerst die privaten Haushalte mit Wärme versorgt werden müssten. Motto: "Niemand soll frieren." Die Industrie würde zuerst Zug um Zug abgeschaltet. Das aber reiche nicht aus: Dieses Konzept sei für den Fall einer Störung der Versorgung von ein paar Wochen gedacht gewesen, um kritische Infrastruktur zu schützen, nicht aber die Industrie.

"Das ist aber nicht das Szenario. Wir sehen möglicherweise eine monatelange Unterbrechung von Gasströmen, da passt das nicht", sagte Habeck. Der Grundsatz "Frieren soll niemand" sei im Grunde richtig – aber private Haushalte müssten ihren Anteil zur Problemlösung leisten, denn ein monatelanger Stillstand in der Industrieproduktion hätte "massive Folgen für die Menschen im Land".

Robert Habeck: "Wir sehen möglicherweise eine monatelange Unterbrechung von Gasströmen."
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Darüber hinaus, so Habeck, müssten auf EU-Ebene nationale Ausgleichsmechanismen geschaffen werden, "es muss einen Solidaritätsausgleich geben". Dazu gebe es noch keine Antworten. Und drittens wäre es günstig, eine gemeinschaftliche Einkaufsstrategie für Gas zu entwickeln, glaubt der Vizekanzler. So könnte man die exzessiven Preise am Markt wieder herunterbringen. Von "Preisdeckeln", wie sie in einigen Staaten, auch in Österreich diskutiert werden, hält er offenbar wenig.

"Neue Allianz"

Was macht den Politiker Habeck aus? Danach gefragt, überlegt Ministerin Gewessler nicht lange: "Er ist überlegt, aber entscheidungsstark." Sie spricht an, was in der europäischen Politik in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich entscheidend sein wird. Oder wie Habeck es formuliert: "Es gibt jetzt eine neue Allianz aus Klimaschutz und Energiesicherheit."

Der tragische Held des Besuchs war übrigens Österreichs Vizekanzler Werner Kogler. Ein gemeinsamer Auftritt mit seinem engen Freund und Weggefährten Habeck in Wien hätte ihm einen politischen Booster geben sollen. Weil er am Montag aber an Covid-19 erkrankte, musste er alle Auftritte absagen. (REPORTAGE: Thomas Mayer, 12.7.2022)