Hunderte empörte Freiberufler haben am Dienstag in Budapest zwei zentrale Donaubrücken blockiert. Auslöser des Protests war eine am selben Tag im Eilverfahren durchgezogene Änderung der Steuergesetze im Budapester Parlament. Mehr als 300.000 freiberuflich Tätige dürften von ihr betroffen sein – und durch sie geschädigt werden. "Wir sind empört", meinte etwa der 22-jährige Fahrradkurier Dávid, der auf der Margaretenbrücke protestierte. "Man setzt unsere wirtschaftliche Existenz aufs Spiel."

Protestierende in Budapest: "Man setzt unsere wirtschaftliche Existenz aufs Spiel."
Foto: REUTERS/Marton Monus

Viele Einzelunternehmer kommen in Ungarn seit fast zwei Jahrzehnten in den Genuss einer begünstigten Pauschalbesteuerung, der sogenannten KATA (Pauschalsteuer für geringfügig zu besteuernde Unternehmer). Wer im Jahr weniger als zwölf Millionen Forint (29.400 Euro) einnimmt, braucht im Monat lediglich 50.000 Forint an die Staatskasse zu bezahlen und hat damit sämtliche Steuer- und Sozialversicherungspflichten erfüllt.

Ab dem 1. September dürfen aber all jene Einzelunternehmer, die ihre Rechnungen nicht ausschließlich an Privatpersonen ausstellen, die KATA nicht mehr in Anspruch nehmen. Ausgenommen sind lediglich Taxifahrer. Nur mehr Friseurinnen, Kosmetikerinnen, Handwerker und Inhaber kleiner Geschäfte, die ihre Dienstleistungen oder Güter ausschließlich an Privatpersonen verkaufen, bleiben weiterhin in der vorteilhaften Besteuerung. Die zulässige Obergrenze der Jahreseinnahmen wird sogar auf 18 Millionen Forint angehoben.

Kaum noch Angestellte in spezifischen Berufsgruppen

In der ungarischen Wirklichkeit ist das allerdings ein beschränkter Kreis. Putzkräfte, Masseure, Physiotherapeuten und Informatiker arbeiten häufig als Einzelunternehmer für öffentliche Einrichtungen und Firmen. Dasselbe gilt für das während der Corona-Pandemie aus dem Boden geschossene Heer an Boten, Zustellern und Fahrradkurieren. Schauspieler, Künstlerinnen, Journalisten und Autorinnen sind in Ungarn kaum mehr angestellt und verrechnen ihre Honorare den Theatern, Medienunternehmen, Verlagen und Kulturhäusern. Alle diese Angehörigen des modernen Prekariats fallen nun aus der KATA heraus. Sie werden, obgleich meist bescheiden entlohnt, wesentlich mehr Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müssen.

Dávid, der Fahrradkurier, kann noch nicht abschätzen, wie viel ihn die neue Gesetzeslage kosten wird. Den Job macht er erst seit vier Monaten, zuvor kellnerte er. "Für vier Stunden am Tag angemeldet, bei einem faktischen Elf-Stunden-Tag", verweist er auf eine in Ungarn tolerierte Praxis, mit der sich billige Arbeitskräfte in der Gastronomie halten lassen. Als Fahrradkurier schätzt er das Mehr an persönlicher Freiheit. Ihm steht zumindest der Weg zurück in die ungeliebte Kellnerei offen.

Beschluss im Eilverfahren

Unbeeindruckt von den Protesten billigte die Mehrheit der Regierungspartei Fidesz am Dienstag im Parlament die Gesetzesänderung. Die Fußsoldaten des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zogen sie in einem besonderen Eilverfahren durch. Zwischen der Einreichung des Entwurfs durch Finanzminister Mihály Varga und der Abstimmung im Parament vergingen gerade mal 24 Stunden.

Das umstrittene Gesetzesvorhaben scheint eine klare Zielsetzung zu haben: In Ungarn sollen die letzten Reste einer freien, kritischen Intelligenz in ihrer Existenz bedroht werden. "Der Kreis der Betroffenen ist ziemlich klar umrissen", meint der Politologe Zoltán Lakner (47), der sich dem Protest auf der Margaretenbrücke anschloss. "Es sind vor allem geistig Freischaffende. Es sind Menschen, die noch ihre Meinung sagen können, die vernetzt sind, die sich in der Öffentlichkeit engagieren." (Gregor Mayer, 13.7.2022)