Einen Polizisten, Teil einer Sperrkette vor dem Burgtor, soll eine bekannte Maßnahmen-Gegnerin bei einer Corona-Demonstration am 1. Dezember angegriffen haben.

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Wien – Jennifer Klauninger ist als sehr, sehr besorgte Bürgerin bekannt und spielte eine prominente Rolle bei den Demonstrationen gegen die Covid-19-Maßnahmen der Regierung. Am 1. Dezember soll sie ihren Protest in der Wiener Innenstadt aber übertrieben und einen Polizeibeamten tätlich angegriffen haben, weshalb sie sich nun vor Richterin Danja Petschniker verantworten muss.

Im Vergleich zum März, als Klauninger vom Vorwurf der Verhetzung freigesprochen wurde, haben sich zwei Dinge geändert: Die Angeklagte ist ein Jahr älter und also 31 geworden. Und sie ist nicht mehr arbeitslos. Wie viel sie in ihrem neuen Job verdient, will sie nicht öffentlich sagen, denn: "Es sind Journalisten im Saal." Was nicht ganz stimmt, da nur einer anwesend ist, ein zeitgleich stattfindender Prozess um einen Mordversuch bindet Kräfte. Richterin Petschniker kann die zweifach Mutter schließlich überreden, ihr ihr Einkommen aufzuschreiben.

Viele Maskenlose im Verhandlungssaal

Auskunftsfreudiger ist Klauninger über ihren Schuldenstand. "20.000 bis 25.000 Euro" betrage die Summe ihrer offenen Verwaltungsstrafen und Gerichtsgebühren, verrät die wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz Vorbestrafte. Die vom Präsidenten des Landesgerichts eigentlich im Grauen Haus vorgeschriebene FFP2-Maske muss sie nicht tragen, da sie ein entsprechendes Attest vorlegen kann. Auch die meisten ihrer Begleiter, die in den Zuseherreihen Platz nehmen, sind dank entsprechender Dokumente befreit.

Zum Vorwurf der Staatsanwältin, sie habe bei einer Kundgebung am 1. Dezember einem Polizisten in einer Sperrkette beim Burgtor in der Wiener Innenstadt mehrmals mit der flachen Hand gegen die Brust gestoßen, bekennt sich Klauninger nicht schuldig. "Wir hatten eine Demonstration", erinnert sie sich, die fand eigentlich auf dem Maria-Theresien-Platz zwischen Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum statt.

Einige Teilnehmer wollten danach Richtung Hofburg und Bundeskanzleramt ziehen, um ihren Unmut über die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Covid-Pandemie lautstark zu artikulieren. "Ich bin zerstreut gewesen", sagt die Angeklagte, sie sei halbherzig mitgegangen. Vor dem Burgtor seien Polizisten gestanden, die Manifestanten hakten sich unter den Armen unter und forderten mit dem Satz "Mücke muss weg!" den Rücktritt des damaligen Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein (Grüne).

Schunkelnde Maßnahmengegnerinnen

"Ein paar Teilnehmer waren ein wenig aufgebracht", sagt Klauninger, "ich wollte keine Eskalation. Ich habe versucht, die Leute ein wenig zu dämpfen." Als sich der Polizeikordon gemächlich in Bewegung setzte, sei man eingehakt zurückgewichen. "Wir haben geschunkelt und unseren Protest kundgetan", dabei seien immer drei bis vier Meter Abstand eingehalten worden, behauptet die Angeklagte.

Dann sei ein Beamter der Einsatzeinheit ausfällig geworden: "Jenny, waunst di ned schleichst, ram i di weg!", soll der Polizist gedroht haben. Kurz darauf soll sie von den Einsatzkräften durch die Sperrkette gezogen worden sein. "Dann bekam ich einen Kniestoß in den Rücken und einen Faustschlag gegen den Kopf und wurde zu Boden gebracht", ärgert die Angeklagte sich. Sie habe den unfreundlichen Polizisten jedenfalls nie attackiert, allerhöchstens könnte es zu einem unfreiwilligen Körperkontakt gekommen sein, als sie von hinten angestoßen wurde.

Richterin Petschniker kann zwei Videoaufnahmen vorspielen: Eine längere Sequenz, auf der zu sehen ist, dass die Beamten tatsächlich sehr geruhsam vorgehen. Und eine sehr kurze, unmittelbar bevor Klauninger durch die Sperrkette gezogen wird. In diesem Ausschnitt nimmt die Richterin zwei Dinge wahr: Die Angeklagte schunkelt nicht mehr und ist nicht bei Mitdemonstranten eingehakt. Und sie hat eine Hand in Brusthöhe des Polizisten.

"Jenny, waunst di ned schleichst, ram i di weg!"

Der angeblich angegriffene Polizist bleibt bei seinen Angaben: Die Angeklagte habe ihn zwei- oder dreimal gegen die Brust gestoßen, dann habe er sie mit "Geh weida!" zum Ortswechsel aufgefordert. "Die Angeklagte sagt, Sie hätten 'Jenny, waunst di ned schleichst, ram i di weg!' gesagt?", konfrontiert Petschniker ihn. "Sicher nicht, das gehört nicht zu meinem Wortschatz", weist der Inspektor das von sich. "Aber gereizt waren Sie schon?", will die Richterin wissen. "Nein. Ich bin seit sechs Jahren Polizist, des is ma so wurscht", gibt der 30-Jährige sich abgeklärt.

Ein älterer Kollege von ihm konzediert dagegen, dass die Aufforderung, sich zu absentieren, "sicher nicht mehr im feinsten Beamtendeutsch, sondern auf verständliche Weise" erfolgt sei, aber sicher nicht derart beleidigend. Auch er will Klauningers Stöße gegen die Polizistenbrust gesehen haben. Das Polizeivideo des Einsatzes gibt es aber leider nicht mehr. "Ein Polizeijurist hat entschieden, dass einem Löschungsauftrag nachzukommen ist", bedauert er.

Es ist nicht das einzige verschwundene Video. Wie sich beim Auftrag der von Klauninger und ihrem Verteidiger Michael Drexler stellig gemachten Entlastungszeugen herausstellt, muss es zumindest zwei weitere Aufnahmen der Situation geben. Alleine: Eine an sie weitergeleitete Datei findet die Angeklagte angeblich nicht mehr, das Original fand sich auf einem Mobiltelefon, das mittlerweile den Geist aufgegeben hat. Ein zweites Video sei von Facebook angeblich gelöscht worden.

Belastender Entlastungszeuge

Einen Angriff Klauningers will keiner der Entlastungszeugen gesehen haben, allerdings könnten sie auch in ungünstigem Winkel oder zu weit weg gestanden sein, wie sich herausstellt, als sie auf den vorhandenen Filmen ihre Position zeigen. Für Klauninger eher suboptimal ist die Aussage eines der Mitdemonstranten. Der bezieht sich auf die damals unmittelbar zuvor erfolgte Festnahme eines aggressiveren Teilnehmers: "Sie kam dem Mann zu Hilfe, sie wollte ihn zurückziehen", sagt er über die Angeklagte. Um gleich darauf zu betonen: "Nur die Polizei hat sich unverhältnismäßig verhalten!"

Richterin Petschniker muss schließlich auf den 3. August vertagen, da Verteidiger Drexler auf dem Auftritt eines weiteren Entlassungszeugen besteht. Der Grund, warum der Mann nicht erscheinen konnte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Zeuge liege mit einer Covid-19-Infektion im Bett, gibt die Richterin bekannt. (Michael Möseneder, 13.7.2022)