Michael Strasser kennt auch die Lebensweisheit "Ein Krug geht nur so lange zum Brunnen, bis er bricht".

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Das Bike, ein Totalschaden.

Foto: Michael Strasser

Michael Strasser hat schon viel erlebt. Mit dem Rad fuhr der Wiener Extremsportler durch Russland, von Kairo nach Kapstadt, von Alaska nach Patagonien. Von einer Ausfahrt vor der eigenen Haustüre in Wien-Alsergrund sollte er jedoch fast nicht mehr heimkommen. Ein Lkw der Müllabfuhr touchierte ihn, überrollte sein Rad – es war die erste Ausfahrt damit. Strasser selbst blieb wie durch ein Wunder nahezu unverletzt. Einen Monat später hat er jedoch mit den Folgen des Unfalls zu kämpfen – mental. Nach mehr als einem Jahrzehnt im Leistungssport stellt sich der 39-Jährige die Frage, wie es weitergeht.

"Ich fahre seit 16 Jahren sehr viel Rad. Das war bis zum Unfall ein Teil von mir", sagt Strasser im Gespräch mit dem STANDARD. "Seitdem bin ich aber nicht mehr eins mit dem Rad." Das fällt auch denen auf, mit denen Strasser unterwegs ist. Der Blick geht nach links, nach rechts, nach hinten. Die Angst ist immer da.

Gänsehaut, Schweißausbrüche, Albträume

Eine Woche nach seinem Unfall saß Strasser wieder auf dem Rad. Doch jeder Lkw, der von hinten heranrollte, löste Gänsehaut und Schweißausbrüche aus. Albträume stellten sich ein. Den Austria Extreme Triathlon, der von Graz bis auf den Dachstein führt, musste Strasser abbrechen. Nicht wegen der Prellungen und Schürfwunden, sondern weil etwas in ihm Nein sagte.

Wie er den Unfall eigentlich überlebt hat? Ganz genau weiß es Strasser nicht. Der LKW-Fahrer überholte ihn in der Alserbachstraße im neunten Gemeindebezirk, wollte sich rechts einordnen, da kam es zur Kollision. Irgendwie muss Strasser es geschafft haben, die Füße aus den Cleat-Pedalen zu bekommen, sonst hätte der LKW nicht nur sein Bike, sondern auch ihn überrollt. So aber wurde er vom Unterfahrschutz des Gefährts zum Straßenrand geschleudert, segelte zwischen zwei Metallstangen hindurch auf den Gehsteig.

Unübersehbar

Wenn Strasser erzählt, hört man den Ärger über das Verhalten des Lkw-Fahrers heraus, vor allem aber Unverständnis. Der Lenker fuhr nach Strassers Angaben zunächst weiter, hielt erst bei der nächsten Ampel. "Er ist dann völlig ruhig ausgestiegen und meinte einfach, er habe mich nicht gesehen. Wie kann man mich nicht sehen? Ich fahre seit Jahren mit einem neongelben Helm und einem neonfarbenen Trikot. Viel mehr Warnweste kann man eigentlich nicht sein." Seitens der MA 48 heißt es, dass man den Vorfall sehr bedaure, die Schadensabwicklung über die Versicherungen sei bereits im Gange, Lenker würden überdies "regelmäßig und im Anlassfall geschult".

Für Strasser stellt sich die Frage, wie es beruflich weitergeht. Schnell kommt die Sorge wegen der Sponsoren. Doch die hätten ihm Hilfe und Geduld zugesichert. Es geht aber auch darum, was das Radfahren für Strassers Leben bedeutet. Denn der Sport sei nicht nur ein Beruf oder eine Freizeitbeschäftigung, sondern eine Lebenseinstellung. "Ich nutze das Rad ja auch, um in der Stadt alle meine Wege zu erledigen. Wenn ich am Abend einen Vortrag in Graz habe, dann fahre ich in der Früh in Wien weg, halte den Vortrag und fahre am nächsten Tag wieder mit dem Rad heim." Damit das wieder geht, hat Strasser mit Psychotherapie begonnen. "Ich glaube, ich darf nicht davonlaufen."

Im Herbst wollte Strasser in weniger als 24 Stunden vom Wiener Stephansplatz auf den Großglockner fahren. Mit dem Rad auf Bundesstraßen unterwegs zu sein ist aber derzeit undenkbar – vor allem in der Nacht. Vielmehr kommen Gedanken an ein Karriereende. In wenigen Wochen erwarten seine Frau und er ihr erstes Kind.

Bruch im Leben

Der Unfall markiert also einen Bruch in Strassers Leben – seinem dritten, wie er es selbst nennt, nachdem ihn in Mexiko einmal fast ein Lkw überfahren hatte, als er am Straßenrand gestanden war. "Ein Krug geht nur so lange zum Brunnen, bis er bricht."

Gefragt nach den Zielen, die noch bleiben, nennt Strasser dann auch keine Durchquerungen von Kontinenten. Er will anderen Menschen die Freude am Sport vermitteln, wie er es schon länger mit öffentlichen Trainings in einem Wiener Park tut, "aber nicht mit der Brechstange des Leistungssports. Es muss Spaß machen." Spaß, den Michael Strasser selbst erst wieder finden muss. (Michael Windisch, 14.7.2022)