Proteste gegen die russische Blockade der Hilfe für die Provinz Idlib. Jetzt darf diese sechs Monate weitergehen.

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Die Spaltung im Sicherheitsrat brachte zu Wochenbeginn die seltsame Situation hervor, dass die USA, Großbritannien und Frankreich sich bei der Abstimmung enthielten.

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Syrien ist aus den Schlagzeilen, dabei legen allein die steigenden Flüchtlingszahlen, von denen auch Österreich betroffen ist, eine dringende Beschäftigung mit dem Thema nahe. Am Sonntag lief Uno-Sicherheitsratsresolution 2585 aus, die Hilfslieferungen für Nordwestsyrien erlaubt. Einen Tag später wurde ein russischer Text als Resolution 2642 angenommen, die Hilfe kann nun bis 10. Jänner weiterlaufen. Aber das ist eine Beruhigung nur für den Augenblick.

Direkt betroffen sind etwa 4,1 Millionen Menschen in der syrischen Provinz Idlib und im Norden Aleppos. 2,8 Millionen davon sind Binnenflüchtlinge, 1,7 Millionen leben in Camps. 3,1 Millionen gelten als hungergefährdet. Die Uno-Hilfe in der Region läuft über die Türkei, die selbst ein vitales Interesse an der Versorgung der Menschen hat, denn eine noch größere Not würde diese an und in die Türkei – und, wenn sie es schaffen, weiter nach Europa – drängen.

Seit Jahren wird das Gebiet nicht von Damaskus aus versorgt, weil es während des Kriegs unter Kontrolle der Rebellen – und von deren türkischen Sponsoren – kam. Da setzt auch das Njet der das Assad-Regime unterstützenden Russen an, das alljährlich zu hören ist, wenn die Verlängerung der Uno-Hilfe ansteht: Die ganze Situation sei eine Verletzung der syrischen Souveränität und Integrität, Russland sei nicht mehr bereit, das im Sicherheitsrat zu unterstützen.

Krieg und Klimawandel

Den "Cross-Border-Mechanismus" beim Grenzübergang Bab al-Hawa gibt es seit 2014. Auch 2021 einigte man sich im Sicherheitsrat in New York erst nach Auslaufen der alten Resolution. Der Unterschied zu heute: Damals konnten Washington und Moskau noch miteinander kommunizieren und ihre Interessen abgleichen. Heute nicht mehr – und das bei einer weitaus schlechteren Versorgungslage der syrischen Bevölkerung mit galoppierenden Lebensmittel- und Energiepreisen, eine Folge des Kriegs in der Ukraine. Dazu kam 2021 auch noch die ärgste Trockenheit seit 70 Jahren in der Region.

Die Spaltung im Sicherheitsrat brachte zu Wochenbeginn die seltsame Situation hervor, dass die USA, Großbritannien und Frankreich, die natürlich für eine Verlängerung der Hilfslieferungen sind, sich bei der Abstimmung enthielten. Die neue Resolution besteht nämlich aus dem russischen Vorschlag, der am Freitagabend noch durchfiel: Eine Verlängerung auf nur ein halbes Jahr bedeutet große Planungsunsicherheit für die Hilfsorganisationen, ein Jahr wäre das mindeste.

Aber zuvor hatte Russland gegen die Verlängerung um zwölf Monate ein Veto eingelegt. Danach wurde noch auf einen Kompromiss von neun Monaten gehofft, aber Moskau ließ wissen, dass es nur seinem eigenen Vorschlag zustimmen werde. Die USA nannten das eine "russische Geiselnahme des Sicherheitsrats".

Abgesehen von der humanitären Seite wirft die Diskussion über die Versorgung von Nordwestsyrien auch ein Schlaglicht auf das spezielle Verhältnis zwischen Russland und der Türkei, das mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs noch komplexer geworden ist. Ankara unterstützt die Ukraine politisch und mit Waffen, versucht jedoch gleichzeitig, in der Frage der Weizenexporte aus der Ukraine zu vermitteln und mit Moskau nicht zu brechen, indem es die westlichen Sanktionen nicht mitträgt. Das kann es sich wirtschaftlich auch nur schwer leisten.

Die Frage der Nato

Russland mag darauf gehofft haben, dass sich die Türkei nachhaltiger gegen die Nato-Erweiterung durch Schweden und Finnland wehrt. Aber das westliche Offert war wohl ausreichend, sowohl was Waffenlieferungen aus anderen Nato-Ländern als auch was einen härteren Umgang mit der türkisch-kurdischen PKK, die auch in der EU als Terrororganisation eingestuft ist, und ihren Ausläufern betrifft. Wobei die Nato-Beitritte noch die nationalen Parlamente, also auch das türkische, passieren müssen, noch ist die letzte Hürde also nicht gekommen.

Nun lässt Russland immer wieder die Türkei spüren, dass sie ihr in Syrien mehrfach das Leben schwermachen kann: eben durch eine humanitäre Katastrophe in der unter türkischem Einfluss stehenden Provinz Idlib, aber auch im Nordosten Syriens. Dort droht Ankara seit Wochen mit einem neuen Einmarsch, um die PKK-nahen syrischen Kurden der PYD/YPG ins Landesinnere zurückzudrängen. Bisher gilt an der Grenze ein türkisch-russisches Arrangement. Die Situation ist noch komplizierter, weil die YPG-Miliz unter US-Protektion steht; sie wurde von Washington als lokale Truppe gegen den "Islamischen Staat" aufgebaut.

Präsidentengipfel in Teheran

Am Dienstag wurde für 19. Juli ein Präsidentengipfel von Wladimir Putin, Tayyip Erdoğan und Ebrahim Raisi in Teheran angekündigt. Auch Ankara setzt also darauf, sich die Sache ohne den Westen auszumachen. Das Gewicht des wie Russland mit dem Assad-Regime verbündeten Iran in Syrien wächst durch die russische militärische Überdehnung – und damit auch das Potenzial iranischer Konflikte mit der Türkei. Auch Teheran lehnt eine türkische Operation in Nordostsyrien strikt ab. Die Iraner sind zudem über die Wiederannäherung Ankaras an Israel verärgert. Zuletzt hatte es Warnungen vor iranischen Anschlägen gegen israelische Touristen in der Türkei gegeben.

Und es gibt Meldungen über eine russisch-iranische militärische Kooperation für die Ukraine: In diesem Fall soll Teheran Moskau Drohnen zur Verfügung stellen. Sonst läuft der Waffenhandel ja umgekehrt. Währenddessen ist beim Besuch von Joe Biden in Israel und Saudi-Arabien ein strategischer israelisch-arabischer Pakt vor allem zur Luftabwehr gegen den Iran ein großes unterschwelliges Thema. (Gudrun Harrer, 14.7.2022)