Gemeinsamer Jubel bringt gefährliche Nähe mit sich. Katharina Naschenweng, nach ihrem Tor gegen Nordirland umringt, fällt wegen Corona aus.

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Irene Fuhrmann wusste es schon im Vorhinein. Gut, man könnte sagen, die Frau ist vom Fach. Oder: Sie musste dafür nun wirklich keine Hellseherin sein. Wien, Montag, 27. Juni, ein Autohaus im ersten Wiener Gemeindebezirk: Fuhrmann präsentiert den Kader für die Europameisterschaft in England, geht auf die Personalentscheidungen genauer ein, stellt sich den Nachfragen, souverän, geduldig, abgeklärt. Und doch machte die 41-jährige Teamchefin ihrem Ärger immer wieder kurz Luft. Der Grund: Sie durfte gerade einmal 23 Spielerinnen zur Endrunde mitnehmen. Vorgabe des europäischen Verbandes Uefa – keine Widerrede. Bei den Männern im Vorjahr war aufgrund der pandemischen Lage ein 26-köpfiger Kader erlaubt.

Im mittelprächtigen US-Thriller Die Nummer 23 mit Jim Carrey in der Hauptrolle hat die Zahl eine mystische, geheimnisvolle und gefährliche Bedeutung. Bei der EM der Frauen nervt sie vor allem. Das Turnier wurde für die sportlich Verantwortlichen, die Teamchefinnen und Teamchefs, zu einem Turnier des Improvisierens. Mittlerweile gibt es bei Deutschland, Italien, den Niederlanden, Finnland, England und auch Österreich positive Corona-Tests von Spielerinnen. Sie fallen freilich aus. Das Reglement sieht vor, dass die jeweilige medizinische Abteilung vor einem Match garantieren muss, dass alle Spielerinnen fit, Corona-negativ und damit nicht ansteckend sind. Stichwort Eigenverantwortung. Testpflicht für Spielerinnen gibt es von Uefa-Seite keine, Österreich setzt aber im Falle von Symptomen auf Tests, um einen Cluster zu verhindern. "Wir sind da sehr verantwortungsbewusst und die Spielerinnen auch", sagte Fuhrmann.

Finger in die Wunde

Die Beschränkung auf 23 Spielerinnen sorgte auch bei Deutschland für Unmut. Vor dem Schlager der Gruppe B zwischen den Deutschen und Spanien (Deutschland gewann 2:0) wurde bekannt, dass Torjägerin Lea Schüller das Spiel aufgrund einer Infektion verpassen würde. Teamchefin Martina Voss-Tecklenburg war grantig: "Ich möchte den Moment jetzt auch wirklich nutzen, den Finger in die Wunde zu legen. Wir haben vorher die Uefa gebeten, darüber nachzudenken, ob wir 26 Spielerinnen mitnehmen dürfen. Das ist nicht gewährleistet worden, obwohl es die Männer bei der WM machen können." Der Weltverband Fifa genehmigte im Juni für die Männer-WM vom 21. November bis 18. Dezember eine Aufstockung der Kader – auch wegen der Corona-Situation. Es gilt ein Minimum von 23 Profis, ein Maximum von 26.

Die Uefa habe die Entscheidungen für die Euro getroffen, als sich die Corona-Lage in Europa gebessert hatte, sagte ein Sprecher des Dachverbandes. Die Saison 2021/22 sei außerdem "anders als die 2020/21 eine normale Spielzeit gewesen". Man habe auch die Einsatzzeiten bei der Männer-EM analysiert: "Trotz der höheren Anzahl von Mannschaften und einer zusätzlichen Spielrunde haben nur zwei Teams mehr als 23 Spieler eingesetzt."

Das hilft den Teams aktuell nur wenig. Viele haben keine exklusive Unterbringung, auch das Team des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) nicht. Eine Bubble wie bei den Olympischen und Paralympischen Winterspielen in Peking gibt es nicht. Auch, weil in Großbritannien die Pandemie im öffentlichen Leben quasi keine Rolle mehr spielt. Masken sind die Ausnahme.

Torschützin fehlt

Seit Turnierstart wurden zwei Österreicherinnen positiv auf Corona getestet: Laura Wienroither hat ihre Erkrankung samt leichten Symptomen überwunden und ist für den Showdown gegen Norwegen (Freitag, 21 Uhr, ORF 1) schon wieder eine Option. Katharina Naschenweng, Torschützin zum 2:0 gegen Nordirland, wird sich da noch in Isolation befinden.

Apropos Improvisieren: Die Ausfälle schlagen sich durch die Kadergröße vor allem im Trainingsalltag nieder. Fuhrmann: "Wenn ich heute elf gegen elf trainieren lassen will, geht sich das nicht aus. Es ist nicht die Qualität, wenn zwei bis drei Betreuer mitspielen." Ihr Wunsch an die Uefa: "Man muss im Vorfeld adaptieren. Ich gehe aber auch davon aus, dass es finanzielle Gründe gibt." (Andreas Hagenauer aus Camberley, 13.7.2022)