Die Lebensqualität eines Bezirks ist eng verwoben mit der Infrastruktur und dem Einkommen der Bewohnerinnen und Bewohner. Eine Untersuchung beleuchtet den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Armut.
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Wien gilt dem "Economist" zufolge wieder als lebenswerteste Stadt der Erde. Die durchschnittlich hohe Lebensqualität fluktuiert freilich: Viele Menschen müssen auch hier mit einem geringen Einkommen und hohen Kosten kämpfen, ein Problem, das sich aktuell im Zuge der Energiekrise noch verschärft. Arme und reiche Einwohnerinnen und Einwohner sind über die 23 Gemeindebezirke nicht gleichmäßig verteilt – eine Tatsache, die ein Wiener Forschungsteam für seine Analyse nutzte, bei der es herausfand, dass Ärmere offenbar früher in ihrem Leben Herzinfarkte erleiden.

Die im Fachjournal "BMJ Open" veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass Frauen aus reicheren Bezirken im Durchschnitt mit 70,2 Jahren einen Herzinfarkt haben, jene aus ärmeren Stadtteilen hingegen schon mit 64,6 Jahren. Bei Männern ist der Unterschied geringer, sie sind allerdings insgesamt früher betroffen – wohlhabendere Männer im Schnitt mit 60,2 Jahren, diejenigen in ärmeren Bezirken mit 57,3 Jahren. Weil ärmere Bezirke eine im Schnitt jüngere Bevölkerung haben, sei jedoch noch weitere Forschung notwendig, betont das Forschungsteam.

Statistik zu Durchschnittseinkommen

Mit einem gesunden Lebensstil, der ausgewogene Ernährung und viel Bewegung beinhaltet, lässt sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – die häufigste Todesursache in westlichen Ländern – deutlich senken. Doch auch das soziale Umfeld und die finanziellen Möglichkeiten beeinflussen die Gesundheit. So ernähren sich Menschen mit geringem Einkommen häufig nicht gesund. Und sie leben oft in Gegenden mit nicht gut ausgebauter medizinischer Infrastruktur, etwa einer geringeren Ärztedichte.

Die Bevölkerungsökonomin Sonja Spitzer vom Institut für Demographie der Universität Wien hat den Zusammenhang zwischen dem Alter von Herzinfarktpatienten, der Überlebensdauer nach Herzinfarkten und dem Durchschnittseinkommen in Wiener Gemeindebezirken analysiert – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des AKH Wien und des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA). Dazu nutzte das Team Daten aus der Lohnsteuerstatistik, mit denen sie die Bezirke in drei Kategorien (hohes, mittleres und niedriges Durchschnittseinkommen) einteilten.

Überraschung beim Alter

"Damit lässt sich das sozioökonomische Umfeld der Bezirke gut beschreiben, weil das Einkommen eng mit anderen Variablen wie Bildung, Gesundheitsvorsorge et cetera zusammenhängt", erklärt Spitzer. Diese Informationen verknüpfte die Forschungsgruppe mit krankenhausbasierten Beobachtungsdaten von Herzinfarktpatienten des AKH und dem Sterberegister. Dadurch konnte sie die Überlebensverläufe von 1.065 Herzinfarktpatienten und 416 Herzinfarktpatientinnen über einen Zeitraum von 19 Jahren (2000–2018) untersuchen.

Bei der Frage, wie schnell Patienten nach einem Herzinfarkt sterben, zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Bezirken. "Überraschendes 'Nebenergebnis' unserer Arbeit war aber, dass Patientinnen und Patienten aus ärmeren Bezirken in jüngeren Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden scheinen", sagt Spitzer. Hier sei aber weitere Forschung notwendig, weil diese Bezirke auch deutlich jünger sind. Deshalb wolle das Team herausfinden, ob das Alter der Patienten mit der Altersstruktur der Bezirke zusammenhängt.

Bezirke nach Einkommen

Laut der Studie fallen unter die Wiener Gemeindebezirke mit niedrigem Durchschnittseinkommen der 5., 10., 11., 12., 15., 16. und 20. Bezirk – jene mit hohem Durchschnittseinkommen sind der 1., 4., 8., 13., 18., 19. und 23. Bezirk. Zwischen diesen beiden Kategorien errechnete sich ein Unterschied des durchschnittlichen Infarktalters bei den Männern von 2,9 Jahren und bei den Frauen von 5,6 Jahren.

"Wenn Menschen aus ärmeren Bezirken früher im Leben einen Herzinfarkt erleiden, ist das besorgniserregend und sollte weiter wissenschaftlich wie gesundheitspolitisch berücksichtigt werden. Vor allem sollte man hier verstärkt auf Gesundheitsvorsorge und Gesundheitskompetenz setzen", erklärt Co-Autorin Vanessa Di Lego von der ÖAW in einer Aussendung.

Frauen mit abweichenden Symptomen bei Herzinfarkt

Das Forschungsteam untersuchte zudem, wie schnell und woran Herzinfarktpatientinnen im Vergleich zu männlichen Patienten sterben. Grundsätzlich haben Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer. Das gilt auch für die Todesursachen "koronare Herzkrankheit" (Durchblutungsstörung des Herzmuskels aufgrund chronisch verengter Herzkranzgefäße) und "anderen Todesursachen".

Ein solcher Überlebensvorteil scheint aber nicht für die Diagnose "akutes (also nicht chronisches, Anm.) Koronarsyndrom" (v. a. Herzinfarkt) zu gelten. Dies könne auf mögliche Nachteile in der Diagnose und Behandlung für Frauen hinweisen, die verbessert werden sollten, schreiben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Es gibt bereits Hinweise darauf, dass Herzinfarkte bei Frauen im Durchschnitt andere Symptome auslösen als bei Männern – und dass sie als weniger dringend eingestuft werden, wenn es Frauen sind, die damit in die Notaufnahme kommen. (APA, red, 14.7.2022)