Alexander Keppel hat den Bachmannpreis verfolgt und ist im Gastblog einigermaßen geschockt über dessen visuelle Inszenierung.

Ich habe sie gesehen. Die "Tage der deutschsprachigen Literatur 2022", online. Online, wie sie auch für die Teilnehmer der letzten beiden Corona-Jahre waren. Die Darbietung der Vortragenden war durch die Pandemie 2020 und 2021 unfreiwillig in die Setzkastenoptik eines Gruppen-Zoom-Calls hineingeraten. Hinter den Lesenden taten sich ihre Privatkulissen – Gärten, Zimmer, Kneipen – auf, die sich leider nicht, wie in Zoom-Meetings, wegweichzeichnen ließen und den Teilnehmenden inszenatorische Hintertürchen öffneten, die dem Diktat des Privaten unserer Zeit Tribut zollten.

Wie mit Ulrich Seidl auf Locationscouting

Heuer wurde der Bachmannpreis wieder in Präsenz abgehalten. Dies war nach den beiden digital geschienten letztjährigen Ausgaben aus inszenatorischer Sicht jedoch leider kein Gewinn. Das Stagedesign der ersten wieder vor Ort in Klagenfurt gelesenen Ausgabe der "Tage der deutschsprachigen Literatur" machte in seiner Hilfs- und Einfallslosigkeit keine Gefangenen.

Es fehlten beim diesjährigen Bachmannpreis eigentlich nur noch Palettenmöbel, um die falsche Lässigkeit und die echte Laxheit von Klagenfurt zu komplettieren.
Foto: APA/GERD EGGENBERGER

Die Autorinnen und Autoren standen im Garten des ORF-Studios Klagenfurt auf einer viel zu hohen Bühne, deren Front mit jenen klapprigen Zäunchen aus Draht verwickelten Holzresten bewehrt war, wie man sie auch als Einfriedung der Grünanlagen von Wiener Gemeindebauten kennt. Auf der Bühnenfront waren weiße Kunststoffkübel aufgestellt, in denen büschelweise Schilfgrasähnliches steckte, als wären wir im Lager einer Großgärtnerei. Der Bühnenrücken und die nahen Grenzen des Gartens waren indes umstellt von einer Phalanx aus hohen Bambuspflanzen, die in rostfarbenen Plastikuntertöpfen auf Erlösung warteten, wie im Baumarkt, wo sich am Wochenende die Einkaufskarren derer, von denen immer jemand mäht, wütend verkeilen. Diese Bambusblenden um die Bühne waren aber nicht dicht und zahlreich genug gestellt, um die dahinter auf Parkplatzsuche umherkurvenden Anrainer und ihre Wohnkloben vollends zu verbergen. Warum muss ich die trostlosen Mietskasernen mit ihren tristen Rollos und Gardinen sehen, als wäre ich mit Ulrich Seidl auf Locationscouting? Und warum mussten die Lesungen von Barbara Zeman oder Leona Stahlmann vom Martinshorn eines Krankenwagens zerstochen werden? Weil Sommer ist und dann alle so gerne draußen sind?

Tschibo-Albtraum zwischen Shabby Chic und Frühstücksfernseh-Optik

Auf der Lesebühne und daneben drumherum waren wie zufällig alte, hölzerne Weinkisten drapiert und krampfhaft locker, krampfhaft random, mit Büchern bestückt, die aussahen, als hätte der ORF-Kärnten bei Nacht und Nebel sämtliche Bücherboxen der Stadt geplündert. Wie Deko-Kies waren die Bände lieblos auch über Tischchen und den Boden verstreut und lagen dort gar direkt zu Füßen der Moderatorin Cecile Schortmann. Dieser Umgang mit dem Medium Buch, welches hier eigentlich zelebriert werden sollte, war erschreckend. Die alten Bände schienen wie hämisch inszenierte Mahnmale ihrer zunehmend prekären Stellung in der Algorithmusgesellschaft, wo Lesezeit zunehmend vom Dopamin-Leckstein Smartphone abgesaugt wird. Wie Sperrmüll "zur freien Entnahme"; wie tote Hüllen ausgestorbener Tiere aus einem Land vor unserer Zeit, gefüllt mit Inhalten, die niemanden mehr betrafen, lagen sie umher. Lesedauer: unendlich nie. All dies zeugt von einer unglaublichen Ratlosigkeit und Ignoranz und hinter ritualisierter Hochachtung auch von verstecktem Hohn gegenüber Literatur, Lesenden, Schreibenden, Vorlesenden und Büchern, wenn Letztere, wie hier, zu Dekorationsobjekten der Einfallslosigkeit in diesem tschiboesken Albtraum zwischen Shabby Chic und Frühstücksfernsehdeko degradiert werden. In jedem Ikea mit seinen schwedischen Büchern in den Schauräumen findet man mehr Respekt gegenüber dem gedruckten Wort. Neben dem Pult der Vortragenden hatte man dann noch eine weiße Plastikstele mit dem vielsagenden Wort "LITERATUR" platziert, damit auch die Letzten wussten, dass dies hier keine Flugschau oder Haustiermesse war.

Als würde hier gleich Gaddafi zelten

Im Kontrast zu dieser grotesken, überhohen Bühne saßen, nein lümmelten, nein loungten die Gäste mehr oder minder freiwillig tiefergelegt in Liegestühlen umher und wurden von diesen Sitzgelegenheiten in eine Froschperspektive zwischen Ehrfurcht und Ignoranz zur Bühne gezwungen. Chillaxing für das Bildungsbürgertum. Es fehlten eigentlich nur noch Palettenmöbel, um die falsche Lässigkeit und die echte Laxheit von Klagenfurt zu komplettieren. Dafür lagen unschuldige, aber open air grandios deplatzierte Orientteppiche im Publikumsbereich umher, als würde hier gleich Gaddafi zelten, wenn er noch könnte.

Separiert von dieser verunglückten Gartenbühne hatte man die Jury im bewährten Sesselhalbkreis in einem Studio aufgebaut, das an den Schalterbereich der Deutschen Bank erinnerte. Weißes Kunstleder, oder echtes, egal, und gut desinfizierbares Melamin waren die Werkstoffe, aus welchen die kantigen Sitz-Tisch-Kombinationen gemacht waren, in denen die Jurymitglieder hockten wie in offenen Schachteln.

Die ausgebreiteten Habseligkeiten der Juroren auf ihren Tischen ergänzten die Diskussionen.
Foto: APA/GERD EGGENBERGER

Auf den knappen Tischchen zwängten sich Gläser und Kaffeetassen mit angeknabberten Makronen nebst Handtaschen, Stiftetuis und anderem Privatkram der Jury, der besser diskreter verwahrt hätte werden sollen. Denn all dies tut vor allem eines: ablenken. Ablenken vom gelesenen Text. Ablenken von der Diskussion. Ablenken – bewusst oder unbewusst – durch die privaten Konsumentscheidungen von Jurymitgliedern im Rampenlicht.

Literatur war nicht die einzige Kunstform, der man hier übel mitspielte

Das traurige Finale dieses Wettbewerbes, welcher inszenatorisch der hohen Qualität der dargebotenen Texte in keiner Weise gerecht wurde, gipfelte während der Preisverleihung in einem dramaturgischen Fiasko. Der durch seine Fahrigkeit eine irre Unruhe erzeugende Moderator Christian Ankowitsch gefiel sich in missglückten Sticheleien gegen den Justiziar Andreas Sourij, der die Preise verlas. Die Gewinnernamen befanden sich in den kleinsten und billigsten handelsüblichen Kuverts, die jener aus der Innentasche seines Sakkos zog. Dass Ankowitsch gefühlt alle drei Sekunden auf seine Zettel linsen musste und sich trotzdem ständig verhaspelte, ließ ihm seine kleinen Süffisanzen gegenüber dem Justiziar nicht besonders gut zu Gesicht stehen.

"Groß, schwer aus Glas und intransportabel"

Als Sourij dann die Preisträgerinnen und Preisträger verkündete, sollten diese allerdings – entgegen der allgemeinen Erwartungshaltung bei solchen Veranstaltungen – nicht direkt auf die Bühne kommen. Stattdessen mussten alle Preisträger und Preisträgerinnen zunächst eine Ansprache ihres Jury-Mitgliedes lauschen und durften erst dann nach vorn, um sich den unangenehmen Fragen und deplatzierten Bemerkungen der Co-Moderatorin Cecile Schortmann auszuliefern.

Während dieser Momente der Preisübergaben und Gratulationen spielte ein Jazz-Ensemble der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik Klagenfurt auf, um nach wenigen Takten immer wieder abgewürgt zu werden. Der Gipfel war allerdings, dass diese Band dann, mit den Worten der Moderatorin: "(…) Jetzt hat sie noch mal 'nen richtigen Auftritt – wow!", auf- und ausspielen durfte, allerdings erst, während das Studio abgebaut wurde und der Saal sich hinter der performenden Band gen Garten leerte. Eine groteske Szene. Literatur war also nicht die einzige Kunstform, der man hier übel mitspielte. Die ultimativ unansehnlichen Preisskulpturen – Zitat Ankowitsch: "Groß, schwer aus Glas und intransportabel" – des Villacher Glaskünstlers Mario Karner waren dann der passende Schlussstein dieses zum stilistisch-inszenatorischen Albtraum gewordenen Bachmannpreises.

Mit einer an der Grenze zur Fahrlässigkeit uninspirierten Inszenierung des wichtigsten Bewerbes der deutschsprachigen Literatur erwies man selbiger einen gehörigen Bärendienst. (Alexander Keppel, 18.7.2022)