Gemeinsam verbannt ins Zauberreich Flora: v. li. Larissa Fuchs, Johannes Krisch (mit Maske), Eduard Wildner.

Foto: Joachim Kern

Auf der Blumeninsel Flora herrschen rundum erstarrte Verhältnisse. Die Herrin des Eilands, Hermione (Larissa Fuchs) mit Namen, schwebt überhaupt als gotische Schmerzensfrau über die Bühne der Raimund-Festspiele in Gutenstein: mit der Scharlach-Schleppe der Gesalbten. Als Königin der Feennacht ist Hermione – sie lässt ihre Dichter Oden auf den eigenen Liebreiz anstimmen! – eine der bizarrsten Eingebungen des großen Zauberdichters Ferdinand Raimund.

Als Gönnerin der Dichtkunst gebietet sie in Die gefesselte Phantasie, uraufgeführt im Jahr 1828, über ein Traum-Arkadien. Diese auf Biedermeier-Papier entworfene Weltgegend bildet den harmonisierten Gegenentwurf zu Metternichs stupidem, österreichischem Krähwinkel. Im Stück fungiert Apoll als Schirmherr über Schmalspur-Utopia. In Achim Freyers Regie (und Ausstattung) prangt einzig Raimunds Konterfei am Portal. Unsere Götter sind eben eher unglückliche Menschen gewesen: Vorstadtpoeten mit der Begabung, sich, wie Raimund, wegen einer eingebildeten Ansteckung mit Tollwut selbst ins Jenseits zu befördern.

Natürlich wird auch diese fromm erdachte, allzu liebenswürdig ausstaffierte Welt von Pulverrauch und Aufruhr bedroht. Zwei Zauberinnen, wechselnd reihum gespielt von Mitgliedern des Ensembles, gut getarnt durch schminkweiße Kindchen-Masken, säen Zwietracht auf der Insel. In Gutenstein schwingt seit heuer Johannes Krisch das Szepter der Ferdinand-Raimund-Intendanz. Er selbst gibt im Theaterzelt einen herrlich griesgrämigen Alpen-Harlekin. Im gelben Narrenkleid foppt er, im Tone eines Nestroy-Empörers, Furien wie Genien. Er bildet den zähnefletschenden Boten einer kommenden, unbehaglichen Zeit.

Bilderdienst nach Vorschrift

Wie aber soll man foppen, was gar nie zu richtigem Leben erwacht ist? Freyer, einer der raren Bilderfinder des deutschsprachigen Theaters, schiebt Bilderdienst nach Vorschrift. Er entwickelt für Raimunds Figuren, darunter den plebejischen Heurigensänger Nachtigall (vortrefflich: Eduard Wildner), keine Auftritte. Er verwandelt Fleisch und Blut in Pappmaché und Kreidestrich. Er gebietet über die Menschen als Zeichen – und entnimmt sie als Proben aus einem schier unerschöpflichen Vorrat an Strichen, Punkten und Sternen.

Freyer bewirkt durch Vorspannen eines Gaze-Vorhangs, dass einem das possierliche Zauberstück einigermaßen schleierhaft vorkommt. Figuren lösen sich auf in Schall und Rauch, in Luftballons und Schafblöken; man ertappt sich sogar bei dem Gedanken, die Vorstellung vollendeter Harmonie, erschaffen in einem Wolken-Arkadien aus lauter Freyer-Pinselstrichen, für unerträglich zu halten, oder doch schwer genießbar. Der Meister selbst wurde aus Anlass der Premiere als ernstlich erkrankt gemeldet. Vielleicht wird, nach hoffentlich recht bald erfolgter Genesung, der Aufführung noch ein Vitalisierungsschub zuteil. (Ronald Pohl, 14.7.2022)