Auch wenn alle anderen schon längst im Feierabend sind, fällt es Overachievern schwer die Arbeit ruhen zu lassen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Jeder kennt das Phänomen, dass in Betrieben weit über das normale Maß hinaus gearbeitet wird. Wenn Leute immer zielstrebig an die Arbeit gehen, keine Verantwortung scheuen, morgens die ersten und abends die letzten im Büro sind und für sie Ergebnisse nie gut genug sein können. Abgeschlossene Projekte werden nicht länger beachtet, geschweige denn gefeiert, denn die nächste Herausforderung wartet, und die To-do-Liste ist lang.

Viele erkennen sich in dieser Beschreibung entweder selbst oder einige ihrer Mitarbeitenden wieder. Was zunächst nach toller Arbeitsmoral aussieht, kann schnell zum Problem werden, da ein Übermaß an Arbeitszeit, Erfolgshunger und Drang nach Perfektion zu physischen und psychischen Problemen bei der betroffenen Person führen kann. Außerdem sind negative Auswirkungen auf die Einstellung des Teams keine Seltenheit.

Das sogenannte Overachieving, also das zwanghafte Streben nach überdurchschnittlichen Leistungen, ist nur auf kurze Sicht ein Gewinn – und langfristig eine echte Gefahr für die Arbeitskultur. Doch wie sollten Führungskräfte und Teams damit umgehen oder besser noch: vorbeugen?

Überlastung erkennen

Zunächst ist es gar nicht so einfach, einzuschätzen, wann die individuelle Arbeitsbelastung gesund, zu hoch oder gar schädlich ist. Die sichtbaren Aspekte variieren stark, je nach Typ und Neigung. Auf das Phänomen des Overachieving weisen aber bestimmte Verhaltensweisen hin, die es zu erkennen gilt.

Ein charakteristischer Hinweis ist es, wenn die einhergehende Belastung demonstrativ heruntergespielt wird, eine (außerordentliche) Erwartungshaltung gegenüber anderen entsteht und der Frust bei Nichterreichen perfektionistischer Vorstellungen sichtbar zu Tage tritt.

Overachiever merken oft gar nicht, wie sehr sie selbst belastet sind, da sie auch gegenüber sich selbst unnachgiebig und fordernd sind. Das führt oft zu Spannungen im Team, weil das Verhalten nicht selten unbewusst zu einem Druck führt, bei dem entweder alle mitmachen – und zum Beispiel länger im Büro bleiben – oder durch Unverständnis Unwohlsein bei allen Beteiligten entsteht.

Innerer Leistungsdruck

Overachieving ist eine Neigung, die ein Stück weit in jedem Menschen steckt. Eng verbunden mit diesem Leistungsdruck ist ein Selbstwertgefühl, das sich an den eigenen Leistungen misst. Man nennt es auch eine Verdienstmentalität: der unbewusste Gedanke, man dürfe nichts bekommen, ohne es sich zu "verdienen".

Dieser Ansatz schlägt in Overachievern besonders häufig in kreisende Gedanken und Ängste um, aus denen es schwierig ist, im Alleingang auszubrechen: Nicht genügend zu leisten bedeute, nicht gut genug zu sein. Nur dass es dieses "gut genug" oftmals gar nicht gibt – und das Streben danach das Risiko einer Belastungsdepression oder eines Burnouts erhöht.

Gesunde Arbeitskultur etablieren

Insbesondere für die Arbeit im Team ist es wichtig, dass eine positive Arbeitsatmosphäre bewahrt wird, um die Produktivität hoch und die Fluktuation niedrig zu halten. Deshalb sollte erkannt und besprochen werden, wenn Teammitglieder in Richtung Overachieving tendieren, und proaktiv die Arbeitsbelastung gemanagt werden. Dazu ist eine gute Kommunikation notwendig, sodass Erwartungshaltungen mit dem gesamten Team geklärt werden können. Es sollte deutlich sein, wie die gewünschte Arbeitskultur aussieht, sodass sich alle daran orientieren können – statt jener Person nachzueifern, die am längsten arbeitet oder die stärkste Auslastung vorweisen kann.

Und wie geht man in der Praxis am besten mit den Overachievern um? Prinzipiell ist es wichtig, einfühlsam zu sein, auch und gerade mit sich selbst. Führungskräfte sollten behutsam darauf hinweisen und Unterbrechungen einführen, zum Beispiel, indem auch kleine Erfolge gefeiert werden. Oder indem andere Teammitglieder für ihr Mitwirken bedacht werden und nicht nur jene Person, die einen Erfolg verantwortet.

Alltägliche, bewusst getroffene Entscheidungen können einen großen Unterschied machen, zum Beispiel dass Kapazität und Arbeitspensum der einzelnen Mitglieder im Team richtig verteilt wird, dass ein konsequentes Projektmanagement die Wichtigkeit von Aufgaben richtig einschätzt und priorisieren kann und dass eine positive Fehlerkultur verankert wird.

Insbesondere die Wahrung von Freiräumen ist wichtig für die psychische Gesundheit. Nur wenn Mitarbeitende wissen, dass E-Mails nicht sofort beantwortet werden müssen, dass es in Ordnung ist, das tägliche Arbeitspensum dem eigenen Rhythmus anzupassen, dass sie an einem freien Tag nicht erreichbar sein müssen oder dass Urlaub wirklich Urlaub ist, nur dann kann ein Team langfristig wirklich erfolgreich sein. (Julia von dem Knesebeck, 21.7.2022)