Arrr! Alle Mann an Deck! "Skull & Bones" erscheint im November.

Foto: Ubisoft

Der Fokus des Piratenspiels liegt auf Schiffskämpfen. Selbst das wird von einigen Hatern kritisiert.

Nur an bestimmten Stellen darf man an Land gehen – auch das sorgt für Kritik.

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Als "Assassin's Creed Black Flag" vor beinahe zehn Jahren erschien, war nicht das Assassinen-Gameplay mit all den Eagle Dives, Doppelklingen und Stealth Kills das Highlight – das hatten die drei Vorgänger bereits zur Genüge geliefert. Nein, es waren die Schiffskämpfe, die Shanties, die von den Männern und Frauen an den Kanonen gesungen wurden, um die Zeit zu überbrücken, die Gischt, die auf der stürmenden See gegen die Kamera spritzte, und das Aufblitzen des Kanonenfeuers im Dunkel der Nacht.

Wer wollte, konnte sogar die legendäre Nebelszene aus dem Film "Master and Commander" nachspielen. Ich erinnere mich sogar daran, wie mir regelmäßig vor dem Fernseher kalt wurde, als würde mir der Sturm selbst und nicht dem Pixel-Rudergänger ins Gesicht peitschen. So groß war die Immersion – und das ist eine Leistung, die nur wenige Spiele seither vollbracht haben.

Die See ist der Star

Kein Wunder, dass viele Fans damals ein Seekampf-Spiel ohne den damals schon ausgelutschten Auftragsmörder-Bloat wollten. Ein Spiel mit klassischen Piraten, mit Papageien, Augenklappen, Holzbeinen und Pulverfässern. Die See war der Star des Spiels. Ubisoft hat zugehört: "Skull & Bones" sollte der Traum jedes Couchpiraten werden. Dabei hat der Publisher nicht unerhebliche finanzielle Risiken in Kauf genommen und, was beinahe am wichtigsten ist: Das Spiel wurde trotz seiner schwierigen Entwicklung und all den Verschiebungen nicht gecancelt. Kurz: Ubisoft lieferte Fanservice.

Und jetzt das: Nach vier Jahren hat der Entwickler einen neuen Trailer veröffentlicht und die frohe Kunde des baldigen Releasedatums am 8. November 2022 gebracht. Doch die einzigen Wellen, die das Spiel schlug, waren Hate, Downvotes und hämische Kommentare. Ja, "Skull & Bones" hat schon in der Vorschau Schwächen gezeigt: Gibt man den Befehl, ein feindliches Piratenschiff zu entern, stürmt die Crew mit Hurra und gezückten Säbeln, Entermessern und Hakenhänden an Bord des Gegners. Der Spieler wird ausgesperrt und muss sich ausgerechnet einen Ladebalken ansehen, während die eigenen KI-Gefährten am Deck des Gegners Musketenschüssen ausweichen und sich mit den Mitgliedern der feindlichen Crew im Schwertkampf messen.

Der Trailer zum Spiel weist zweimal mehr Downvotes als Likes auf.
Ubisoft

Auch während die eigenen Leute Piratenschätze am Strand ausgraben und Kisten voller Gold ans Tageslicht bringen, muss man als Spieler zuschauen, statt die eigenen virtuellen Hände in einen Berg aus Dublonen stecken zu dürfen. Ja, das gezeigte Ressourcenmanagement ist irgendwo zwischen gruselig und absolut furchtbar, ja, kein Mensch versteht, warum man nicht auf tropischen Eilanden anlanden darf und Holz vom Piratenschiff aus gefällt werden muss.

Designschwächen, na und?

Das ist alles nicht mehr zeitgemäß, und das Spiel offenbart klare Designschwächen, die in einem Triple-A-Spiel absolut nicht vorkommen dürfen. "Skull & Bones" wird auch sicher keine Innovationspreise abräumen oder das Genre der Piratenspiele revolutionieren. Aber das ist kein Grund, das Spiel noch vor Release in Grund und Boden zu haten. Nein, das Spiel braucht auch keine Kampagne, die ist beim direkten Konkurrenten "Sea of Thieves" auch nur rudimentär. Der Gottvater und Uropa der Piratenspiele "Sid Meier's Pirates!" kam auch als Sandbox daher.

Der Fokus des Piratenspiels liegt auf Schiffskämpfen. Selbst das wird von einigen Hatern kritisiert.

Der Trailer zu "Skull & Bones" hat mittlerweile fast zweimal so viele Downvotes wie Likes. Hier wird gerantet und gehatet – über ein Spiel, das kein Hasskommentarschreiber auf Youtube oder Reddit je gespielt hat. Aber die Meinung der kleinen, aber umso lauteren Gruppe der Hasstrolle ist sich sicher: "Skull & Bones" ist ein schlechtes Spiel, und Ubisoft ist überhaupt das pure Böse.

Willkommen in der Gaming-Hölle

Dabei merken die Wutzwerge in der Gaming-Community gar nicht, wie paradox ihr Verhalten eigentlich ist. Seit Jahren wird völlig zu Recht der Innovationsstau in der Branche kritisiert. Ubisoft ist da keine Ausnahme. In wie vielen Spielen des Publishers musste man auf Funktürme klettern, Federn einsammeln und Symbole auf der Minimap abgrasen, bis sich Open Worlds wie zähe unbefriedigende Arbeit anfühlten? Wie oft haben wir den Zweiten Weltkrieg in "Call of Duty" nachgespielt? Warum muss sich jedes Fifa wie ein Reskin des Vorgängers anfühlen, wobei der Versionsunterschied nur am Frechheitsgrad der Monetarisierung zu erkennen ist? Wie viele Kugeln und Raketen müssen wir noch auf die immergleichen Abrams-Panzer in "Battlefield" abfeuern, bis sich die Branche endlich ändert und wieder zum Motor der Innovation wird? Der ganze Wirtschaftszweig hat ein gewaltiges Problem und muss sich dafür viel berechtigte Kritik gefallen lassen.

Nur an bestimmten Stellen darf man an Land gehen – auch das sorgt für Kritik.
Foto: Ubisoft

Doch versucht es ein Entwickler wie jetzt mit einer völlig neuen IP, wird diese sofort lebendig seziert und anschließend zerrissen. Kein Wunder, dass Publisher lieber den 28. Teil von "Call of Duty" ankündigen, als sich über neue, frische Ideen zu trauen. Ja, richtig gelesen. "Call of Duty" hat mittlerweile 27 Fortsetzungen.

Die kleine Gruppe der Wutzwerge hat sich ihre eigene Gaming-Hölle geschaffen – und den Rest von uns gleich mit in den Abgrund gezogen.

Bitte verderbt anderen nicht den Spaß

Ich werde die Hater nicht überzeugen, ihr Verhalten zu ändern, das ist mir klar. Ich werde mit diesen Zeilen keinen einzigen Hasskommentar verhindern. Ich werde keinen einzigen Wüterich zum konstruktiven Kritiker machen. Ganz im Gegenteil: Es werden keine fünf Minuten vergehen, bis im Forum jemand völlig unverhältnismäßig eskaliert. Damit kann ich leben.

Aber vielleicht können wir uns darauf einigen, dass andere Menschen sich auf neue, frische Spiele freuen und nach einem harten Arbeitstag, wenn die Kinder im Bett sind einfach eine Runde im Indischen Ozean segeln und dabei ein französisches Fort in die Luft sprengen möchten. Lassen wir uns von einer kleinen, wütenden Minderheit nicht den Spaß verderben. (Peter Zellinger, 17.7.2022)