Bei "RuPaul's Drag Race" beurteilt eine Jury die Kandidatinnen – hier Comedian Ross Mathews, Entertainerin Michelle Visage, Stylist Carson Kressley und Promi-Gast Nicole Richie. Die entscheidende Stimme hat aber RuPaul (Mitte) selbst.

Foto: Imago/Courtesy Everett Collection

Verkürzt könnte man sagen, die Castingshow "RuPaul's Drag Race" ist eine Art "'Germany's Next Topmodel' für Dragqueens". Das ist aber sehr verkürzt, denn bei "RuPaul's Drag Race" müssen die Kandidaten weit mehr können, als nur auf dem Laufsteg zu gehen und hübsch auszusehen. Sie präsentieren Kostüme, stylen sich zu wahren Kunstobjekten, spielen Stücke, sammeln Geld als Stripperinnen – und im Gegensatz zu Heidi Klum ist die schillernde Gastgeberin RuPaul zwar auch hart, aber niemals unfair. Vor kurzem endete die 14. Staffel. Bis 2016 lief die Show beim Sender Logo TV. Seit der 13. Staffel gibt es die Konkurrenz bei VH1. Online kann man die Show auf "Wow Presents" streamen. Bei uns sind die neuen Folgen ab Herbst auch auf Netflix abrufbar.

STANDARD: "RuPaul's Drag Race" gibt es seit 2009. Wie hat sich das Format seither verändert?

Mascara: Man sieht ganz einfach, dass die Produktionskosten gestiegen sind. Die erste Staffel wurde angeblich in RuPaul's Garage gedreht. Inzwischen ist es qualitativ hochwertiger und bis zu einem gewissen Grad auch kommerzieller. Insgesamt ist die Show aber originell geblieben, ebenso deren Grundaussagen und die Grundstimmung.

STANDRD: Wie wird man Kandidat bei Drag Race?

Mascara: Also, ich war nur deshalb noch nicht dort, weil man eine Greencard braucht.

STANDARD: Frechheit.

Mascara: Genau. Dafür gibt es viele Franchise-Formen davon. Drag Race gibt es in Frankreich, Spanien, Belgien, Kanada und so weiter. Nur Österreich, Deutschland und die Schweiz haben es nicht geschafft. Gratulation.

STANDARD: Gab es in Österreich nie Pläne für einen Ableger?

Mascara: Doch, ich habe das probiert, und zwar sogar relativ erfolgreich, bis zu dem Zeitpunkt, als sich eine gewisse Person weigerte, mitzumachen. Und das war's. Schade.

STANDARD: Stichwort internationales Franchise. Wie unterscheiden sich die internationalen Varianten vom Original?

Mascara: Sehr, sehr spannend. Wie bei den allermeisten Kunstformen gibt es auch beim Phänomen Dragqueen nationale Unterschiede. Amerikanische Dragqueens unterscheiden sich grundsätzlich von europäischen. In den USA wurde diese Kunstform nicht zuletzt durch Drag Race extrem gesteigert. Die Performance ist plakativ, man denkt sehr stark an die letzte Reihe im Publikum, wo man auch noch erkennen soll, wie man geschminkt ist, Glitzer, Kleider, Glitzer, Perücken, Glitzer, Schmuck, Glitzer, Make-up, Glitzer, Glitzer, sehr Las Vegas, darauf läuft es hinaus. Europäische Dragqueens sind hingegen häufig stärker von Punkrock inspiriert und präsentieren sich insgesamt etwas avantgardistischer. Es kommt aber stark auf die einzelne Person an, wie sie sich darstellt.

STANDARD: RuPaul hat viele Fans, es gibt aber auch kritische Stimmen. Was gibt es an ihm auszusetzen?

Mascara: Zuerst einmal glaube ich, dass es an jedem Menschen irgendetwas auszusetzen gibt. Und sobald sich eine Person in der Öffentlichkeit bewegt, geht es in den meisten Fällen rund. Ich glaube, wir sollten uns da alle manchmal ein bisschen beruhigen und fragen: Was gäbe es denn über uns selbst zu sagen, wenn wir so in der Öffentlichkeit stünden? So viel zur Ausgangsposition. Ein Vorwurf, der relativ früh kam, war Transphobie. Wenn es in der Show um die Aufgabenstellung für die Kandidaten ging, kam RuPaul früher hereingeflattert und schrie völlig hysterisch: Uuuu, you've got She-Mail! Ein Wortspiel aus Mail wie Post und She-Male, eine abwertende Bezeichnung für Personen zwischen den Geschlechtern. Der Joke wurde zu einem Skandal. An anderer Stelle sagte RuPaul, er möchte keine Transfrauen in der Show haben, weil er das als eine Art "Doping" ansieht. Die Kritik war groß. Mittlerweile gibt es transsexuelle Personen in der Show, und es ist ihm kein Zacken aus der Krone gefallen. Und natürlich wird inzwischen jedem klar sein, wie viel Geld RuPaul mit dem Ganzen verdient hat. Und das ist immer ein relativ beliebtes Ziel von Kritik und Hass, wenn jemand Geld verdient.

STANDARD: Wie profitieren die Teilnehmer von der Serie?

Mascara: Das ist wie bei allen Castingshows. Es gibt solche, die kurz präsent sind und schnell wieder verschwinden. Und dann gibt es die Figuren, die irrsinnig durchstarten. Manche beginnen eine Musikkarriere und singen, manche machen eine Schauspielkarriere, manche sind in der Beauty- und Modebranche. Miss Famous zum Beispiel war das Gesicht von L'Oreal Paris.

STANDARD: Die US-amerikanischen Dragqueens haben eine ganz eigene Art zu sprechen. Wo bemerken Sie den Einfluss der Drag-Lingo?

Mascara: Zwischen mir und meinen Kolleginnen in der Showtruppe gibt es einen Running Gag. Wenn Fans in unsere Nähe kommen, dann fangen sie an, wild mit den Fingern zu schnippen und mit ihrer Zunge zu poppen und zu schreien: "Yes girl, do that shit and do that, Queen!" Dann stehst du da und sagst dir, okay, eine Aneinanderreihung von sinnlosen Floskeln – danke. Diese typische Art des Ausdrucks ist bis nach Österreich gekommen.

STANDARD: Welche Codes gibt es noch?

Mascara: Werk ist so eine Art acknowledgement, wenn jemand etwas schafft oder etwas ganz besonders Tolles macht oder ein Superoutfit trägt und gerade bei der Tür reinkommt, dann kann man zu der Person sehr anerkennend "werk!" sagen.

STANDARD: Was ist Ki Ki?

Mascara: Ki Ki ist eine Party. Im Gegensatz zu Kai-Kai. Darunter versteht man, wenn zwei, drei Dragqueens etwas miteinander haben.

STANDARD: Klingt nach einer schwierigen Sprache.

Mascara: Vielleicht bringt RuPaul ja bald einen Duden heraus. (Doris Priesching, Michael Steingruber, 23.7.2022)