Friedensaktivisten wollen von US-Präsident Joe Biden mehr Einsatz für eine Zweistaatenlösung sehen. Die Palästinenser bleiben aber auch für ihn ein Nebenthema im Nahen Osten.

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Es ist zweifellos die bisher größte Wende in Joe Bidens Außenpolitik seit Beginn seiner Amtszeit: Der US-Präsident nimmt am Samstag im saudi-arabischen Jeddah an einem großen arabischen Gipfeltreffen teil und wird dabei auch Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) treffen. Ihn hatte die CIA in einem von Bidens Vorgänger Donald Trump wohlgehüteten Bericht als mutmaßlichen Auftraggeber der Ermordung des saudischen Publizisten Jamal Khashoggi geoutet. In seinem Wahlkampf hatte Biden gesagt, Saudi-Arabien werde "den Preis dafür bezahlen", er werde die Saudis "zum Paria machen, der sie sind".

In einem Gastkommentar Bidens in der Washington Post vor ein paar Tagen klingt das allerdings anders: Reorientierung, nicht Bruch mit Riad sei sein Ziel gewesen. Der Krieg in der Ukraine und die Einsicht, dass der Nahe Osten nicht mehr – oder erneut nicht – nur in Richtung Washington, sondern auch nach Moskau schaut, haben dem Willen zur Wende nachgeholfen. Die US-Regierung reitet vor dem Besuch nicht darauf herum, aber eine Steigerung der Ölförderung durch Saudi-Arabien wäre angesichts der Energiepreise höchst willkommen.

Kein reumütiger MbS

Die Saudis waren während des Kalten Kriegs der wichtigste arabische Verbündete gegen die Sowjetunion. Dass nun nach Jahren der saudischen Status-quo-Politik ein starker Thronfolger mit Gestaltungswillen in den Startlöchern steht, macht sie realistischerweise nur interessanter. Und Mohammed bin Salman, der seine Macht inzwischen intern abgesichert hat – er kontrolliert alles und jedes im Königreich –, lässt sich keineswegs reumütig in die Arme schließen. Es sei ihm egal, was Biden von ihm denke, ließ er diesem vor ein paar Monaten in einem Interview mit The Atlantic ausrichten.

Für die Saudis stellt sich auch die Frage, ob die Demokraten über das Jahr 2024 hinaus regieren werden. Donald Trumps Wahlsieg 2016 hatten sie nach der Ära Barack Obama – und der Vizepräsidentschaft Bidens – enthusiastisch begrüßt. Unter Trump waren die Menschenrechte und die "amerikanischen Werte" kein Thema.

Pikantes Beispiel

Bidens Kommentar in der WP überzeugt in dieser Hinsicht eigentlich niemanden: Er betont die von ihm gesetzten Maßnahmen gegen Riad und stützt sich auf die Behauptung, der Nahe Osten sei unter ihm sicherer und besser geworden. Das von ihm angeführte Beispiel des Irak ist dabei besonders pikant: Premier Mustafa al-Kadhimi – der nur noch im Amt ist, weil die Regierungsbildung nach den Wahlen im Herbst 2021 gescheitert ist – wird vom Iran-freundlichen schiitischen Mehrheitsblock im Parlament scharf dafür kritisiert, dass er nach Jeddah zum Gipfel mit Biden fährt.

Eingeladen sind außer den Golfkooperationsstaaten GCC (neben Saudi-Arabien Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Katar und Oman) auch der Irak, Jordanien und Ägypten. Das große regionale Projekt ist eine Verteidigungsallianz inklusive Israel, die sich vor allem gegen den Iran richtet.

Biden betonte, dass er am Freitag der erste Präsident sein werde, der direkt von Israel nach Jeddah fliege, "ein kleines Symbol einer sprossenden Beziehung". Die Frage ist, wieweit Saudi-Arabien, das unter der Decke längst eine Sicherheitszusammenarbeit mit Israel pflegt, öffentlich zu gehen bereit ist. Die Erwartungen sind hoch, zu hoch wahrscheinlich, solange König Salman noch lebt und die Lage für die Palästinenser so hoffnungslos ist.

Goodies für die Saudis

Zwar hat Biden, nach dem US-Bruch unter Trump, die Beziehungen zu den Palästinensern wiederaufgenommen. Aber das Hauptthema, das alle umtreibt, bleibt doch der Iran: Bidens Plan einer Wiederherstellung des Wiener Atomdeals, der von Obama geschlossen und von Trump sabotiert wurde, steht ja seit Monaten am Rande des Scheiterns. Dass im Jemen derzeit eine Waffenruhe hält, würde es den USA argumentativ erleichtern, den Verkauf von Offensivwaffen an Saudi-Arabien wiederaufzunehmen. Ein weiteres Goodie für Riad ist, dass die USA in Ägypten daran arbeiten, die stockende Übergabe der Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer an Saudi-Arabien zu beschleunigen. Es braucht laut ägyptisch-israelischen Friedensvertrag eine formelle Zustimmung Israels – und offiziell befindet sich das ja noch immer im Kriegszustand mit Saudi-Arabien, auch wenn die Realität längst eine andere ist.

Auch das Wort Afghanistan kommt in Bidens Kommentar vor: beim Gedenken an die US-Soldaten, die seit 9/11 im Nahen und Mittleren Osten gefallen sind. Bidens Stolz darauf, dass er der erste Präsident ist, unter dem in der Region keine US-Kampftruppen im Einsatz sind, ist für "domestic consumption". Für seine Verbündeten war der überstürzte Rückzug aus Afghanistan eine katastrophale Demonstration der US-Schwäche. Das Vakuum füllen Russland und China. (ANALYSE: Gudrun Harrer, 15.7.2022)