Im Gastblog teilt Bernhard Jenny seine Gedanken in Hinblick auf eine krisengebeutelte Zukunft.

"Für die Politik wird es ein sehr schwieriger Herbst werden." Solche Aussagen sind in den letzten Tagen auf und ab zu lesen. Beim Nachdenken über das Warum und Wieso liegt nahe, dass es für alle schwierig werden wird, denn nur jene, die energietechnisch zu fast 100 Prozent autark sind, werden es vielleicht etwas einfacher haben. Aber selbst Personen, die von den Energiekosten nicht direkt betroffen sind, könnten darunter leiden, wenn vieles, sehr vieles, einfach nicht mehr geht.

Steuern wir einer düsteren Zukunft entgegen?
Foto: Bernhard Jenny

Den Teufel an die Wand malen oder realistische Risikoeinschätzung?

Dass Energierechnungen in ungeahnten Höhen - Preisdeckel hin oder her - zu dramatischen Verwerfungen führen können, ist wohl klar. Dass aber Einbrüche in der versorgenden Industrie, Ausfälle von Infrastruktur, Öffis, Bahnen, Krankenhäusern nicht unmöglich sind, dürfte uns irgendwo auch bewusst sein. Was es bedeutet, ohne Gas und Strom in Familienhäusern oder Wohnblocks durchkommen zu müssen, können sich sicher sehr viele nicht vorstellen.

Wie wäre es tatsächlich?

Ohne Internet, Mobiltelefon, Heizung, Kühlschrank, (Warm-)Wasser, Auto, Bus und Bahn: Wie wäre das tatsächlich?

Ich habe in Südamerika gesellschaftliche Prozesse kennengelernt, die selbst bei 60 Prozent Inflation oder mehr die Ruhe bewahren lassen, weil es ein inneres Know-how gibt, worauf es in solchen Situationen wirklich ankommt und wie gegenseitige Hilfe funktioniert. Solidarität ist dann kein Schlagwort mehr, sondern überlebensnotwendig.

So entstehen unter anderem spontane Parallelwirtschaften auf Basis von Volksküchen, Tauschgeschäften, Mikrounternehmen, Nachbarschaftshilfen sowie kreativen Umgehungsmärkte.
Es werden zum Beispiel offiziell kaufbare Dollars, in Argentinien derzeit maximal 200 US-Dollar pro Person, umgehend auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft und damit durch die Gewinne die Inflation gemildert.

Speziell die mitteleuropäischen Gesellschaften, insbesondere die urbanen Gruppen, haben dieses Know-how nicht, sie müssen im Ernstfall bei null anfangen oder auf das Wissen anderer zurückgreifen.

Aussichten?

"Die nächsten zwei Jahre werden Jahre sein, wie wir sie noch nicht erlebt haben", sagte ein lieber Freund. Ich erlebe mich nicht als vorbereitet oder gefasst. Eher schwankt die Sorge in sehr große Sorge und dann wieder in etwas kleinere Sorge.

Es sind (noch) keine Kriegsängste. Aber die Nächte sind etwas schlafloser geworden. Wie können wir uns vorbereiten? Wer und wo sind unsere "Role-Models" für den Katastrophenfall? Und: Was können wir tun, dass im Megakrisenfall nicht alte faschistoide Muster fröhliche Urständ feiern?

Was kommt auf uns zu? (Bernhard Jenny, 18.7.2022)

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